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INGOs NÖHRgeleien 2023

von Ingo Nöhr

Wie überlebt man Weihnachten?

Remake von Dezember 2012

Weihnachten mit seinen besinnlichen Tagen danach steht vor der Tür. Jupp und ich haben unsere Leser nun seit Monaten mit den juristischen Diskussionen über das Medizin­produkterecht malträtiert. Mit der Zeit haben wir uns einem grundsätzlicheren Thema ange­nähert, dem Qualitätsmanagement. Auch da werden wir voraussichtlich nicht stehen bleiben, denn böse Zungen behaupten ja, dass auf das Qualitätsmanagement das Risiko­management folgt, weil man die Qualität nicht einhalten kann und schlussendlich das Krisenmanagement gefragt ist, weil man die Risiken nicht beherrschen kann.

Folgen Sie uns also weiterhin auf dem Weg zum Qualitäts-Risiko-Krisenmanagement und staunen Sie mit mir über Jupps unübertroffene Art, diese Prinzipien auch im Alltagsleben anzuwenden. Zunächst müssen wir aber ein aktuelles Risikoproblem aufarbeiten, generell bekannt unter dem Stichwort „Weihnachten“.

 # # #

Jupp war wieder mal in Fahrt. Ich traf ihn vollgepackt mit Geschenkpaketen vor seiner Haustür. Ein blaues Veilchen prangte auf seinem linken Auge. „Hallo, Jupp, was ist passiert? Warst du boxen?“ – „So ungefähr. Weihnachtseinkäufe. Im Jupiter-Supermarkt. Sonder­angebote. Solange der Vorrat reicht. Kampf um die letzten Exemplare. Ich habe aber gewonnen“ stieß er unter dem Paketstapel hervor.

Ich half ihm beim Hineintragen und wir setzten uns erstmal und tranken einen kräftigen Kaffee. „Bist du nicht etwas früh dran mit dem Einkaufen? Es ist doch noch gar nicht Heiligabend“ stichelte ich eingedenk meiner Erfahrungen im letzten Jahr.

Aber Jupp ließ sich nicht provozieren und meinte grinsend: „Diesmal nicht. Wir verreisen nächste Woche. Auf die Kanaren. Weit weg vom deutschen Weihnachten. Zurück sind wir erst im neuen Jahr.“ – „Aha, du bist also den Weihnachtsrummel leid. Da wirst du ja viele deutsche Leidensgenossen treffen.“

Jupp war auch diesmal für eine Überraschung gut: „Nein, nicht deswegen. Aus Sicherheitsgründen. Meine Risikoanalyse hat gezeigt, dass dieser Zeitraum ein Hochrisiko darstellt, was nicht akzeptabel ist.“

Das hörte sich wieder interessant an. Jetzt verstand ich auch, warum sich Jupp vor kurzem meine Norm ISO 31000 – Risiko Management – Grundsätze und Leitlinien ausgeliehen hat. „Jupp, erkläre mir doch mal, warum Weihnachten für dich ein inakzeptables Risiko darstellt!“

Das ließ sich Jupp nicht zweimal sagen: „Liest du denn gar keine Zeitung? Schau doch nur mal die Warnmeldungen der letzten Tage? Stiftung Warentest hat in allen getesteten Kinder-Adventskalendern Rückstände von schädlichen Mineralölen und ähnlicher Stoffe gefunden, teilweise krebserregend.“

„Das ist ja interessant. Bei den gegenwärtigen Benzinpreisen solltest du mal prüfen, ob es sich nicht lohnt, das Öl aus den zurückgerufenen Kalendern zu extrahieren. Dann kannst du sagen: mein Auto verbraucht nur 12 Kalender auf 100 Kilometer.“

Jupp fand das nicht lustig. „Dann hier, TÜV Rheinland: Von 52 geprüften Weihnachts-Lichter­ketten erfüllen 38 Produkte noch nicht einmal die Mindestanforderungen der europäischen Norm. Bei jeder fünften Kette besteht akute Stromschlag- oder Verbrennungs­gefahr.“

„Ja, das habe ich gelesen. Eine Lichterkette ist sogar 240° Celsius heiß geworden. Da kann man sogar die Heizung herunterfahren, das spart Energiekosten. Und die Mängelquoten sind ja schon von 100% in den Vorjahren auf 70% gesunken, da ist ja schon eine Verbesserung am Horizont zu erkennen.“ – Ich sehe halt immer auch den positiven Aspekt an solchen Horrormeldungen. Aber Jupp ist nicht beeindruckt.

„Was meinst du, was in den nächsten Wochen hier los sein wird, wenn überall die Advents­kränze abfackeln und die Wohnung gleich mit. Ich habe meiner Frau gesagt, der Advents­kranz wird nur unter der Dusche aufgestellt - oder gar nicht. Gab es natürlich gleich Gemaule.

Aber da habe ich zu meiner Patentlösung gegriffen und in Youtube ein Filmchen von einem schön geschmückten Adventskranz mit brennenden Kerzen heruntergeladen. Das läuft nun non-stop auf unserem Fernseher. Der gleiche Effekt wie mit dem TV-Kamin­feuer, kostet nichts und die Gefährdung ist gleich null!“

Da ich gerade nicht auf die Statistik zurückgreifen konnte, wieviel dauerbetriebene Fernseher explodieren, hielt ich mich vorsichtshalber zurück. Jupp war noch nicht fertig mit seiner Risikoermittlung. Nun kam er auf sein blaues Auge zu sprechen.

„Du kannst dir gar nicht vorstellen, was in den Geschäften los ist. Panikkäufe wie bei einem bevorstehenden Hurrikan. Und der Verkehr erst. Die Leute fahren wie besinnungslos durch den dichten Verkehr. Von den Radfahrern und Fußgängern ganz zu schweigen. Denken nur an ihre stressigen Einkäufe. Ich habe daher die normale Unfallwahrscheinlichkeit für den Monat Dezember mit dem Faktor drei multipliziert.

Vermutlich immer noch zu wenig, denk mal an die Eis- und Schneeverhältnisse. Bei uns wird gar nicht mehr gestreut. Kein Geld mehr da. Entweder brichst du dir ein Bein oder einen Arm oder du fährst dein Auto in den Graben. Extrem hohes Unfallrisiko!

Und Silvester? Explosionsstoffe in der Hand von Kindern und Betrunkenen. Unverant­wort­lich! Häuser und Autos geraten in Brand, Tiere geraten in Panik, Hände werden abgerissen, Besoffene grölen dich an oder demolieren dein Auto, die Luft wird extrem verpestet. Nee, muß ich nicht haben. 

Dann schau dir nur mein blaues Auge an. Letztes Jahr um die gleiche Zeit habe ich beim Einkauf eine Rippenprellung erlitten. Daher kaufe ich jetzt so früh wie möglich ein. Risikomanagement, meiner Lieber!“

„Ja, aber wofür kaufst du Geschenke, wenn du gar nicht hier bist? Willst du die alle mitnehmen auf deine Insel?“ – „Nein, natürlich nicht. Die sind für meine Schwiegermutter, meine Neffen und Nichten, die mich alle zu Weihnachten besuchen wollen. Die konnte ich einfach nicht davon abbringen und sie bestehen auf ihre Bescherung.

Dahinter verbirgt sich natürlich ein weiteres Risiko. Man darf die Depressionsrate wegen Vereinsamung über die Feiertage nicht unterschätzen. Schau dir nur mal die Selbstmord­ziffern zur Weihnachtszeit an. Absolut inakzeptabel.“

Jetzt war ich etwas verwirrt. Wie will Jupp denn die Frustration seiner missliebigen Besucher vermeiden, wenn er nicht da ist?

„Amigo, du musst mit der Zeit gehen. Moderne Informationstechnologie. Über eine App habe ich die Haustürklingel und die dort angebrachte Videokamera mit meinem Smartphone verbunden. Wenn die Bagage vor der Tür steht, kann ich per Fernbedienung meine Haustür öffnen. Dann brauchen sie nur den Schildern zu folgen, bis sie in meinem Wohnzimmer stehen.

Vor meinem Computer habe ich die Geschenke aufgebaut. Per Skype-Video schalte ich mich dazu und wünsche allen ein frohes Weihnachtsfest und schöne Bescherung. Gebäck und Getränke stehen auf dem Tisch. Auf den Gänsebraten muss diesmal wegen akuter Salmonellengefahr verzichtet werden. Ist sowieso besser bei den hohen Cholesterin­werten meiner Schwiegermutter.

Genial, was? Die kriegen ihre Bescherung. Und ich meine Ruhe. Und absolut sicher, Risiko auf Minimum reduziert. Dank Risikomanagement. Solltest du auch mal machen.“

„Jupp, sag mal, was macht denn deine Frau in dieser Zeit?“ – „Die mag nicht fliegen. Ist ihr zu gefährlich. Sie fährt lieber mit der Bahn mit ihrer Freundin zu einer Wellness-Farm im Allgäu. Hab ich ihr als Ausgleich zu Weihnachten geschenkt. So sind wir beide zufrieden. Dabei ist Fliegen doch dreimal sicherer als Bahnfahren. 9 Verkehrstote bei der Bahn gegenüber 3 Verkehrstote pro 10 Milliarden Passagier-Kilometer im Flugzeug.“

Hm, ich hatte eine andere Statistik im Kopf. Demnach ist der Flugverkehr dreimal so tödlich wie der Bahnverkehr. Wenn man nämlich die Passagier-Stunden betrachtet, findet man 70 Bahntote gegenüber 240 Verkehrstote pro 1 Milliarde Passagier-Stunden im Flugzeug.

Aber ich finde, das Risiko des Reisens ist vergleichsweise gering gegenüber der Wahr­schein­­lichkeit von 99%, in einem Bett zu sterben. Das passiert alle paar Sekunden und keiner regt sich darüber auf. Jeden Augenblick besteigen Millionen von Menschen ungerührt erneut ihr Bett und begeben sich dadurch in Lebensgefahr.

In diesem Sinne – feiern und schlafen Sie gut und achten Sie auf sich in den nächsten Wochen. Im Januar melden wir uns wieder bei den Überlebenden.

 

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von Ingo Nöhr

Eine Verkettung unglücklicher Umstände

Ingo Nöhr im November 2023

Reprint vom März 2014

„Hallo, Jupp, wie geht es dir heute? Du bist ja zu beneiden, wie ich dem großen Zeitungs­artikel letzte Woche entnehmen konnte. Deine Lebensqualität muss explosionsartig zugenommen haben, wenn ich den Pressemitteilungen des neuen Verkehrsreferenten glauben darf.

In seiner Wohngegend war vor einem Jahr eine verkehrsberuhigte Zone mit Tempo 30 eingerichtet worden. Zudem hatte man in seinem Stadtteil eine Parkraumbewirtschaftung eingeführt, was sich in höheren Parkgebühren, kürzeren Parkzeiten und weniger Parkflächen bemerkbar machte.

Aber Jupp schaute gar nicht glücklich drein und ob meiner Worte wurde er richtig wütend. „Wo sind nur unsere kritischen Journalisten geblieben? Das ist ein reiner Propaganda-Artikel in der Zeitung, übelster Bezahljournalismus, Ingo. Du kannst unserer Zeitung nicht mehr trauen. Ich habe sie gleich abbestellt.“

„Aber warum denn? Das klingt doch alles sehr logisch. Willst du etwa abstreiten, dass keine Raser mehr durchfahren, die Autodichte und Durchschnittgeschwindigkeiten stark abgenommen haben? Und jetzt viel mehr mit dem Fahrrad in die Stadt fahren, weil das Parken so teuer geworden ist? Also, ich finde das sehr positiv, Jupp“.

Wir wurden kurz abgelenkt, als der Wirt mit seiner Menükarte an den Tisch kam. Jupp bestellte sein Anti-Vegan-Gedächtnisessen, seitdem er von seiner Familie ein Jahr zuvor gastronomisch etwas misshandelt wurde: Curry-Wurst mit Pommes rot-weiß, extra große Portion.

„Mensch, Ingo, das ist doch bloß die halbe Wahrheit. Natürlich kann keiner mehr rasen, weil überall die schlafenden Polizisten auf der Straße herumliegen. Aber bei uns leben noch sehr viele junge Leute, und wenn die mit ihren tiefergelegten Protzautos diese Betonschwellen passieren, kracht und kreischt es gewaltig. Außerdem machen die sich den Spaß, mit hoher Beschleunigung und Abbremsung von Schwelle zu Schwelle zu hüpfen. Also der Lärm in meiner Straße war noch nie so hoch wie jetzt. Dazu kommt noch der Gestank durch die Auspuffgase.“

„Ja, das hat man wohl nicht zu Ende gedacht. Aber immerhin ist die Autodichte halbiert worden. Das bringt doch weniger Emission von Treibhausgasen.“

„Genauso ein Blödsinn, Ingo! Vorher konntest du bequem mit dem dritten Gang durch unsere Straße fahren, ohne Stop and Go vor den Schwellen. Jetzt zockelst du im zweiten Gang und beschleunigst nach jeder Schwelle wieder. Ich bin sicher, der Ausstoß hat sich drastisch erhöht.“

Der Wirt schob einen übervollen Teller mit einem geschätzten Kaloriengehalt von zwei Tagesrationen eines kanadischen Holzfällers auf Jupps Platz, während ich mich mit einem Salat und einem Weizenbier begnügte. Ich versuchte, Jupp stimmungsmäßig wieder etwas herunterzufahren. Ich wollte ihm eigentlich mein frisch erstelltes Manuskript über die neue EU-Verordnung vorstellen, aber dafür war später noch Zeit und ich schob meinen Laptop erstmal zur Seite.

„Na, ja, mag sein. Aber dafür ist es doch in der Innenstadt jetzt viel angenehmer geworden. Weniger Autos, mehr Radfahrer, trotzdem mehr Einnahmen in die Stadtkasse durch die vielen Falschparker und höheren Gebühren. Was willst du mehr, Jupp?“

„Angenehmer? Du spinnst wohl. Wann warst du denn das letzte Mal in der Innenstadt? “ schnappte Jupp wütend hervor. Jetzt war er richtig in Rage geraten. „Die alten Leute wagen sich doch gar nicht mehr auf die Straße, weil viel mehr Radfahrer da rumsausen. Da herrscht täglich Fahrradterror. Jetzt, wo die Autos weg sind, gehört denen die Straße.“

„Beruhige dich doch, Jupp. Da müssen halt mal ein paar Polizisten die Rüpel einfangen und empfindlich bestrafen, dann wird sich das schon beruhigen.“

„Ja, genau. Wie die Politessen, die sie in Hundertschaften losgeschickt haben, um bei den Falschparkern zu kassieren. Und weißt du, was der Effekt ist. Die Gebühreneinnahmen gehen zurück. Die haben bald nichts mehr zu tun.“

An unserem Nebentisch nahm ein älterer Herr mit einer Dogge Platz. Das Halsband schlang er um ein Tischbein und der Hund legte sich brav zu den Füßen seines Herrchens. Der Wirt kannte das Gespann schon und brachte gleich ein Kännchen Kaffee und eine Schale Wasser.

„Schön, das ist doch ein Erfolg, oder? Da könnten die jetzt bei den Radfahrern abkassieren.“

„Mein lieber Ingo. Hast du dir schon mal überlegt, warum die Autos früher in die Stadt gefahren sind? Zum Einkaufen. Die haben vorher eine Menge Geld beim Einzelhandel gelassen. Und jetzt? Jetzt fahren sie zu den zwei Supermärkten am Stadtrand: keine Parkprobleme, kein Zeitstress, keine Radfahrer. Und die Märkte haben ihre Angebote massiv erweitert, Kinderspielplätze und Schnellimbisse aufgestellt, und veranstalten jetzt laufend Sonderaktionen. Die Umsätze haben sich fast verdoppelt.“

„Oh, oh, das ist gar kein gutes Zeichen. Da werden in der Innenstadt mehr und mehr Geschäfte zumachen müssen, wenn die Laufkundschaft wegbleibt.“

„Genauso ist das, Ingo. Unser lieber Verkehrsreferent hat in seiner weisen Voraussicht den Radfahrern eine neue Spielwiese eröffnet, den Einzelhandel ruiniert, dem Großhandel Traumgewinne beschert, die Abgaswerte und die Lärmbelästigung erhöht. Darüber steht kein einziges Wort in der Zeitung. Verstehst du jetzt meine Wut, Ingo? Mann-o-mann!“

Bei diesem Wort sprang ein Happen seiner Currywurst von der Gabel und rollte unter den Tisch. Jupp ignorierte es und setzte unbeirrt seine Tirade fort:

„Aber dafür hat dieser große Meister vor dem Herrn jahrelang Stadtplanung studiert und großkotzig alle Kritiker im Stadtrat an die Wand geredet. Die positiven Auswirkungen hat er bis auf drei Stellen hinter dem Komma ausgerechnet, und das für die nächsten fünf Jahre. Stell‘ dir mal vor, und jetzt haben wir schon nach einem Jahr den Schlamassel“.

„Ja, Jupp, man nennt das den Overconfidence Effekt: Besonders Experten überschätzen systematisch ihr Wissen und ihre Fähigkeiten. Insbesondere glauben sie, dass Probleme eine direkte Konsequenz einer Ursache sind, dass menschliches Verhalten prognostizierbar ist und mit der Einführung einer Lösung das Problem erledigt sei.

„Ich weiß, Ingo. Menschen sind selten in der Lage, komplexe Probleme in ihrer Vernetzung und Dynamik zu verstehen. Sie drehen an einer Schraube und sehen überhaupt nicht, dass das gesamte System darauf reagiert und an ganz anderen Stellen ungeplante Effekte entstehen, die sogar Lawinen auslösen können. Das kannst du jeden Tag bei unserer Regierung beobachten. Schau dir nur den aktuellen Fall Edathy an.“  

„Wir hatten bei dem Laden, wo ich früher mal gearbeitet habe, längere Zeit enorm teure Unternehmensberater von einer weltbekannten Firma im Haus. Die consultants kamen frisch von der Universität und haben zunächst wochenlang Kenngrößen berechnet. Dabei kam heraus, dass der Reisekostenindex meiner Abteilung vergleichsweise viel zu hoch war. Also reduzierten wir die Kundenbetreuung vor Ort und verlegten uns auf das Telefonieren, mit dem Ergebnis, dass nun unsere Telefonkosten ungebührlich herausragten. Wir warteten nunmehr darauf, dass sich die Kunden selber bei uns meldeten. Leider wurden es dann immer weniger. Aber dafür hatten wir erfolgreich die Reise- und Telefonkosten auf ein Minimum reduziert. Seit kurzem steht die Beratungsagentur wegen Missmanagement zum Verkauf.“ 

„Das sind eben die Scheuklappen-Experten, Ingo. Die können mit Komplexität nichts anfangen. Für einen Mann mit einem Hammer sehen eben alle Probleme wie ein Nagel aus. Oh, hoppla….“

Nun überschlugen sich die Ereignisse. Die Dogge hatte das Stück Currywurst auf dem Boden entdeckt und stand neugierig schnuppernd auf. Der ältere Herr zischte einen Befehl und wollte diesem mit einem kleinen Fußtritt mehr Gewicht bemessen.

Unglücklicherweise traf er mit seiner Schuhspitze die Niere des Hundes, dieser machte erschrocken einen heftigen Sprung nach vorne. Durch den Ruck am Tisch kippte die Tasse mit dem heißen Kaffee um und verbrühte den Mann an der Hand. Schmerzerfüllt sprang er auf, blieb am Tischtuch hängen und schmiss nun auch das halbvolle Kaffeekännchen um, dessen Inhalt sich nun auf den Hund ergoss.

Jaulend schoss der Hund auf unseren Tisch zu, wo ich gerade meinen Laptop aufgeklappt hatte. Ich stieß erschrocken mein Glas Hefeweizen um, dessen Inhalt sich auf der Tastatur verteilte. Jupp war gerade in Begriff, sich eine Pommes frites mit viel Ketchup in den Mund zu stopfen, verfehlte vor Schreck das richtige Loch und rammte sich die Gabel in die Nase.

Der Wirt rannte hinter seinem Tresen hervor, sah das Chaos und mittendrin einen blutigrot verschmierten Jupp … und rief sofort den Notarzt.

Einige Zeit später sitzen wir drei vereint in der Notfallambulanz unseres Krankenhauses und grübeln über den butterfly effect. Ein Flügelschlag eines chinesischen Schmetterlings kann in der Karibik einen Hurrikan auslösen. Ein klassisches Beispiel für das chaotische Verhalten des Wettergeschehens.

„Wenn der Verkehrsreferent nicht seine Neuerungen eingeführt hätte, hätte Jupp sich nicht aufgeregt, hätte er nicht das Wurststück fallen lassen, wäre der Hund nicht aufgesprungen, hätte er keinen Tritt bekommen, wäre der Tisch nicht gestoßen worden, wäre der Kaffee nicht umgefallen, hätte daher keinen verbrühen können, hätte mich nicht erschreckt, wäre mein Bier nicht umgestoßen worden, wären Jupps Nase und mein Rechner noch heile ...“

„Mann-o-mann, Ingo. Was für ein Zusammentreffen unglücklicher Umstände.  Aber letztendlich ist unsere Regierung schuld. Hätten die Gelben damals in der Regierungs­koalition nicht so sehr ihren Ruf ruiniert, hätten wir bei der letzten Kommunalwahl keinen neuen Verkehrsreferenten bekommen, der mit seinen Ideen die ganze Stadt durcheinander gebracht hat.“

Jetzt schaltet sich der ältere Herr mit seiner dick verbundenen Hand ein. „Das sehe ich auch so. Meine Frau ist nämlich zum Supermarkt gefahren, weil sie letztes Mal in der Stadt ein Knöllchen bekommen hat. Da sie nicht rechtzeitig zurückgekommen ist, musste ich mit dem Hund Gassi gehen. Sonst wäre ich nämlich alleine in die Gaststätte gegangen.“   

„Hmm“, grübele ich vor mich hin. „Es ist noch komplizierter. Wäre ich damals nicht zufällig ans Telefon gegangen, als ein Bekannter mir eine Wohnung in dieser Stadt angeboten hat, wäre ich gar nicht hierhergezogen und hätte Jupp nicht kennengelernt. Damit hätte ich auch heute hier nicht …“

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von Ingo Nöhr

Deming, Feng Shui und die Sterne

Ingo Nöhr im Oktober 2023

Nachdruck vom Märzbeitrag 2013

Letzte Woche gab es also das historische ISO 9001-Spaghetti-Essen bei Jupp. Er wollte ja mit dieser Pilotaktion ein Qualitätsmanagementsystem in seiner esoterisch angehauchten Familie einführen, um praktische Erfahrungen für die Einführung in seiner Klinik zu sammeln.

 Getreu der PDCA-Regel von Deming hatte Jupp zunächst sein Pilotprojekt streng nach den Vorgaben der ISO 9001 geplant (PLAN), dann im Familienkreis umgesetzt (DO), und war nun bereit, das Feedback seiner Kundschaft entgegenzunehmen (CHECK). Danach wollte er in die Verbesserung seines Systems (ACT) ein­steigen, um die Qualitätsnorm in weitere Bereiche des Familienlebens einzuführen. Ich nahm als neutraler Beobachter an der entscheidenden Sitzung des QM-Mittagessens teil, war für die Dokumentation zuständig und hielt mich im Hintergrund.

Trotz guter Vorsätze und intensiver Vorbereitungen muss diese Premiere allerdings als höchst verbesserungswürdig angesehen werden. Denn es hagelte Zwischenfälle und Beschwerden von allen Seiten.

Das vorgesehene Dessert vom Sohnemann, ein Fan der Molekularküche, kam nicht zustande, da die jüngste Tochter mit dem flüssigen Stickstoff alle Orchideen auf der Fensterbank kunstvoll in Eisskulpturen verwandelt hatte. Er hatte sich daraufhin schmollend in sein Zimmer zurückgezogen.

Um die Kochzeit abzukürzen und seinen Beitrag zum Energiesparen zu demonstrieren, hatte Jupp einen Dampfdrucktopf verwendet. Leider wollte die mittlere Tochter neugierig in den Topf hineinschauen und verursachte dabei eine größere Explosion. Die Küche wurde in Sekundenschnelle in das Bühnenbild eines Horrorfilms a la Kettensägen-Massaker verwandelt. Das Mädchen verschwand schreiend für den Rest des Tages im nächstgelegenen Beautysalon.

Die Beschaffenheit der Spaghetti wurde den Kommentaren nach von den Teilnehmern sehr heterogen beurteilt: zu hart, zu weich, zu lang, zu kalt, zu weiß. „Sind da etwa Eier drin?“ fragte die vegane Tochter misstrauisch. Jupp hatte aber in der Vorbereitung gut aufgepasst: „Nein, reiner Hartweizen. Fast wie Kruppstahl. Du weißt doch, in italienische Nudeln gehören keine Eier hinein“

„Vielleicht ist aber der Weizen genmanipuliert?“ vermutete die Schwägerin, eine Anhängerin der amerikanischen Shepherd‘s-Diät. „Hast du schon mal von Monsanto gehört?“ – „Der ist vom Bauern im Nachbardorf, rein biologisch hergestellt. Exakt so, wie es die Bibel in 1 Moses 1:29 vorschreibt.“

„Wenn nicht der Weizen, dann aber bestimmt das Soja! Dafür wird der Regenwald abgeholzt!“ Die ältere Tochter versuchte sich zu erinnern, ob Weizen und Soja wohl mit ihrer Blutgruppendiät harmonieren würde.

„Sind die Tomaten etwa aus Holland? Die haben doch keinen Krümel Erde gesehen.“ Hier meldete sich die konsumkritisch denkende Ehefrau von Jupp. – „Nein, das sind glückliche Biotomaten aus Freiland­haltung!“ –

„Du weißt doch aber hoffentlich, dass China bald weltweit der größte Produzent von Bioprodukten ist? Ich sage nur: Kinderarbeit!“ - Jupp schaute etwas gequält drein: „Auf der Kiste waren keine chinesischen Schriftzeichen zu sehen, nur deutscher Text. Bei uns in Deutschland wachsen auch Tomaten! Und die Kinder sind alle in der Schule.“

Danach kam es Schlag auf Schlag von den anderen Vertretern der Gemeinschaft:

„Hast du das Nudelwasser auch vorher kosmoenergetisch aufgeladen?“ – „Habt ihr schon untersucht, ob unser Keramikgeschirr frei von radioaktiven Substanzen ist?“ – „Das Essen schmeckt einfach fad. Ist das etwa Meersalz? Weißt du, was da mittlerweile für ein Müll herum­schwimmt? Warum hast du nicht etwas von dem Himalaya-Salz genommen?“

„Ich habe es ja schon immer gesagt. Das kann ja nichts werden, wenn man vergisst, den Raum auszupendeln. Dieser Ort ist bestimmt verflucht. Der Esstisch steht vermutlich auf einer Kreuzung von Wasseradern, die schädliche Erdstrahlen aussenden.“ - „Und wann richten wir unsere Küche endlich nach Feng-Shui aus? Ihr müsst unbedingt die Lehre von den fünf Elementen beachten.“

Mit der Zeit steigerte sich die Unzufriedenheit zu einem handfesten Familienkrach mit den Kindern. Vor allem, als herauskam, dass Jupp für sich eine echte Fleisch-Frikadelle unter die Sojabuletten geschmuggelt hatte. Unverzeihlich. Durch diesen unseligen Kontakt hatte er die sensiblen Astralkörper seiner armen Kinder auf Jahre hinaus mit Aas kontaminiert und dadurch noch unabsehbare seelische Traumata erzeugt. 

Die gute Ehefrau fand abschließend ein paar tröstende Worte für Jupp: „Es ist nicht deine Schuld. Hast du schon in dein heutiges Horoskop geschaut? Skorpion-Aszendent und Pluto im 1. Haus. Eine ganz gefährliche Konstellation. Unter diesem Sternzeichen fanden jeweils die Attentate auf Olof Palme, Oskar Lafontaine und Theo van Gogh statt! Es ist einfach nicht der richtige Zeitpunkt.“

Und die ältere Tochter wartete mit einer interessanten Betrachtung über den Lebenslauf der Spaghetti auf: „Ich habe mir das Verpackungsdatum auf der Schachtel angeschaut. Das ent­spricht ja dem Geburtszeitpunkt der Spaghetti. Da starten dann alle drei Biorhythmen bei Null: der körperliche Rhythmus von 23 Tagen, der emotionale von 28 und der geistige von 33 Tagen. Heute, knapp drei Monate später, befinden sich alle drei Rhythmen nahe dem Übergangspunkt von negativ zu positiv. Weißt du nicht, Papa, dass dieser Zeitpunkt ganz beson­ders kritisch ist?“

„Na klar“, wagte Jupp einzuwerfen, um wenigstens etwas den Eindruck zu erwecken, dass er auch diesen Aspekt in seiner Planung gebührend gewürdigt hatte. „Das ist natürlich ein schlechter Tag für die Spaghetti. Schließlich werden sie ja heute von uns aufgegessen und dienen einem guten Zweck. Oder sollen wir sie lieber gleich am Verpackungstag verarbeiten, bevor sie ihren komischen Rhythmus entwickeln? “

„Mann, Papa. Wir sprechen von einem LEBENSmittel. Die Spaghetti sind biorhythmisch nach 7, 144 oder auch 235 Tagen in ihrer Bestform und erst dann bereit für die Transformation in eine höher­wertige Lebensform. Man muss aber natürlich noch das Horoskop an diesem Tag berück­sich­tigen.“

Zu diesem Zeitpunkt brach Jupp im allgemeinen Einvernehmen aller Beteiligten den Pilotversuch des familiären QM-Systems ab. Er hatte wohl augenscheinlich den falschen Tag ausgewählt. Er hoffte inständig, dass das Klinikpersonal in der Küche, dem Labor, auf den Stationen und in den Op-Sälen noch nichts von kosmischen Rhythmen und Feng-Shui-Vorgaben gehört hatten.

Jupp und ich setzten kurzerhand den Alternativplan B um und analysierten die Lage bei Bier und Pizza beim nächsten Italiener - unbeeinflusst von unseren Biorhythmen und kosmischen Sternenein­flüssen.

„Jupp, ich bewerte das Experiment durchaus als erfolgreich. Schließlich sind ja von deiner Familie in durchaus deutlicher Sprache eine Reihe von Verbesserungsmöglichkeiten angedeutet worden – ein gelungenes Feedback, würde ich sagen.“ Ich drückte mich diplo­matisch aus. Ein guter Auditor frustriert seine Kunden nicht gleich mit schlechten Nachrichten, sondern zeigt ihnen zunächst den Weg zur Optimierung auf.

Ich fuhr konstruktiv fort. „Sicherlich müssen wir noch stark an der Zielsetzung arbeiten. Die Qualitätsziele sind an­scheinend noch nicht allen Familienmitgliedern ausreichend vermittelt worden.“ Jupp biss etwas trübsinnig in seine fetttriefende Salami-Pizza, auf der langsam der Analog-Käse vor sich hinschmolz. Vermutlich enthielt seine Wurst eine gehörige Portion rumänisches Pferde­fleisch. Der Gaul war bestimmt unter dem Attentat-Sternzeichen geboren worden. Gut, dass seine Familie uns hier nicht sehen konnte.

„Möglicherweise hast du bei deiner Qualitätsplanung einige Spezifikationen nicht aus­reichend berücksichtigt, Jupp. Du solltest zusätzlich zur Grünen Woche noch die nächste Esoterik-Messe besuchen. Danach kannst du in der Ursachenforschung zusätzlich die Sternbild­einflüsse sowie alle schädlichen Einwirkungen von Erdstrahlen und bösen Geistern mit einbe­ziehen.“

Damit konnte ich die Laune von Jupp nicht wesentlich verbessern. Zu tief saß die Schmach seines Scheiterns. „Ach was, Ingo. Da werde ich ja verhungern, bis alle Parameter und Rahmenbedingungen optimal eingestellt sind. Ich habe jetzt erstmal die Nase voll mit diesem Projekt. Als nächstes wollte ich ja eigentlich in der nächsten Stufe ein Hygienemanagement und eine Risikoanalyse für alle Arbeitsplätze im Haus ein­füh­ren. Aber das muss jetzt warten. Ich habe auch noch andere Aufgaben zu erledigen. Auf meinem Schreibtisch wartet ein 210 Seiten dicker Entwurf auf meine Kommentierung. Der dürfte dich auch interessieren.“

Mit diesen verheißungsvollen Worten von Jupp möchte ich das Kapitel unseres Pilotversuchs vorerst beenden. Was es mit dem dicken Entwurf auf sich hat, erfahren Sie im nächsten Blog. Bis dahin wünsche ich guten Appetit.

Ingo Nöhr

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„Manche Leute können super kochen, andere perfekt backen.
- Ich kann ganz toll essen.“

„Wollte gerade Essen kochen. Erster Satz im Rezept: Man nehme einen sauberen Topf.
- Hab dann Pizza bestellt.“

 

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von Ingo Nöhr

Spaghetti Napoletana alla ISO 9001

Ingo Nöhr im September 2023

In der letzten Diskussion über das qualitätsgeregelte Krankenhaus debattierten die beiden Klinikexperten Ingo und Jupp über die Herausforderung eines klinischen Qualitätsmanagementsystems. Keine leichte Übung angesichts des komplexen Gebildes eines Krankenhauses. Aber der Pragmatiker Jupp hatte bereits eine Strategie entwickelt.

„Wir fangen erst mal klein mit der ISO 9001 an. Ich habe da schon eine Idee. Ich muss das deutsche Denken am eigenen Leibe verspüren. Daher werde ich bei mir zu Hause privat ein Qualitätsmanagementsystem nach ISO 9001 einführen und du, mein Freund, kommen­tierst das bitte schonungslos in altbewährter Weise. Ich habe auch schon die ersten Vorarbeiten geleistet."

Jetzt wird also Jupps Privathaushalt qualitätsgeregelt, eine ganz spannende Aufgabe angesichts seiner etwas chaotischen Familie.

 

Spaghetti Napoletana alla ISO 9001

Wir erinnern uns, Jupp war auf der Grünen Woche. Er kam vollbepackt und ausgepumpt von seinem Besuch zurück. Was hat er da wohl gewollt?

„Na, mein lieber Freund, ich muss doch mein Qualitätsmanagementprojekt vorbe­reiten. Die ISO 9001 hält mich dazu ganz schön auf Trab.“

Jetzt wird es für mich interessant. Jupp will also tatsächlich zu Hause die ISO 9001 einführen. Sein Kundenkreis ist überschaubar: die eigene Familie, näm­lich Jupp, seine Frau und drei Kinder. „Wie gehst du denn vor?“

  • „Als erstes muss ich ja eine Qualitäts­politik definieren. Für die Pilotphase habe ich mir den Produktionsbereich für die Ernährung vorgenommen. Das läuft jetzt streng nach dem Deming-Zyklus Plan – Do- Check – Act und dem prozessbasierten ISO 9000 Modell ab: Kundenanforderung – Eingabe – Prozess – Ausgabe – Kunden­zufriedenheit. Dazu kommt das Ressourcen-Management, die Messung, Analyse und Verbesserung der Qualität sowie die Verantwortung der obersten Leitung. Ziel ist natürlich die ständige Verbesserung des Qualitätsmanagement­systems.“

„Aha, deine Frau kocht dir also jetzt die Spaghetti nach ISO 9001 – Prinzipien. Wie wird denn das in der Praxis aussehen?“

  • „Na, ganz einfach: durch simple Anwendung der Normenforderungen, Punkt für Punkt. An den formalen Dingen des Qualitätsmanagementsystems wie QM-Handbuch, Arbeitsan­wei­sun­gen und Formulare arbeite ich noch, aber dazu findest du dann auch genug Bedie­nungsanleitungen der Geräte, Kochrezepte sowie die üblichen Qualitäts­proze­duren.“

„Jupp, du meinst, so ein richtig dickes QM-Buch mit Hunderten von Seiten und Verfah­rens­anweisungen? Und liest das auch jemand in deiner Familie?

  • „Ich arbeite noch an der Motivation. Als oberste Leitung haben sich meine Frau und ich zur Einhaltung der Qualitätsprinzipien verpflichtet und formulieren dies gerade in einer Familien-Qualitätspolitik. Zum Beispiel wollen wir nur noch hochwertiges Essen zu uns nehmen. Fast Food kommt nicht mehr auf den Tisch. 

„Oh, oh, Jupp. Soweit ich weiß, sind deine Kinder ganz versessen auf Cola, Hamburger und Pommes frites. Ist das nicht sogar deren Hauptnahrungsmittel?“

  • „Ja, die Kinder. Da habe ich noch ein aktuelles Problem mit den Kundenerwartungen, die sich leider noch nicht an gesunden und vernünftigen Qualitätszielen orientieren. Eine Herausforderung an mein Changemanagement. Aber letztendlich werden sich meine Kinder auch der Qualitätspolitik unterordnen. Da hilft nur verstärkte Kommunikation der Qualitäts­ziele sowie eine klare Definition von Verantwortung und Befugnissen.“

„Ich denke mal, da hast du aber eine mächtige Opposition im Hause. Die bekommst du mit demokratischen Methoden nicht in Griff, oder?“

  • „Na ja, es geht. Die Kinder sind sich untereinander nicht einig. Meine jüngere Tochter ist unerwartet zu den Vegetariern umgeschwenkt. Sie fordert beim Essen einer Fleisch­bei­lage ein fünfminütiges Rederecht und will uns vor dem Genuss schockierende Fotos von den gequälten Kreaturen im Zuchtbetrieb unter die Nase halten. Die ältere macht zurzeit mit ihren Freundinnen eine Blutgruppendiät durch und will absolut keine Milchprodukte zu sich nehmen.“

„Na, dann mach doch Spaghetti alla Napoletana – rein pflanzlich, kein Fleisch, keine Milch und blutig sieht es auch aus.“

  • „Ja, schön wär’s. Der schreiende Höhepunkt ist meine Schwägerin mit ihrer Halleluja-Diät. Sie ist bei mir Dauergast, weil sie momentan Krach mit meinem Bruder hat. Ihr oberstes Prinzip: Was würde Jesus essen? Sie orientiert sich nach den Geboten in der Genesis 1,29: „Siehe, ich habe euch alles samentragende Kraut gegeben, das auf der Fläche der ganzen Erde ist, und jeden Baum, an dem samentragende Baumfrucht ist: es soll euch zur Nahrung dienen.“Also nur Rohkost und Fruchtsäfte und vor allem viel Gerstengras-Produkte.  

„Da wird ja eine fleischlose Phase bei euch anbrechen, sehe ich das richtig? Hört sich fast wie eine biblische Plage an.“

  • „Nein, denn ich halte dagegen und ernähre mich auch streng biblisch, nämlich nach Genesis 9,3:Alles, was sich regt, was da lebt, soll euch zur Speise sein; wie das grüne Kraut gebe ich es euch alles.“ Ich genieße meine täglichen Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente, am besten in rosa Steaks verpackt. Dazu eine Flasche Bier. Wenn schon Diät, dann schon eher die Steinzeit-Diät – essen wie die Neandertaler. Und die hatten schließlich Fleisch satt, wenn ihnen mal wieder ein Mammut vor die Keule gelaufen war.“

Aha, hier werden Jupp jetzt besondere Fähigkeiten im Komplexitätsmanagement abge­fordert – die Bereitstellung maßgeschneiderter Produkte für spezielle Kunden­kreise. Es wird aber noch exotischer bei Jupps männlicher Nachkommenschaft.

  • „Mein Sohnemann ist ja mehr naturwissenschaftlich geprägt. Jetzt hat er gerade die Molekularküche entdeckt. Ich soll ihm spezielle Vakuumpumpen zum Niedrig­temperatur­garen, flüssigen Stickstoff und Rotationsverdampfer zum Destillieren besorgen. Seine Grundstoffe sind Pflanzenfasern, Rot- und Braunalgen, zubereitet bei -196 Grad. Dazu Gelatine aller Art und in allen Farben.“

„Oh, da steht demnächst Petersilien-Spaghettinis aus aromatisierter Methyl­zellulose mit flambierten Tofu-Schnitzel im Gerstengras-Sud auf deiner Speisekarte. Damit könntest du alle Geschmäcker auf einmal zufriedenstellen – vorausgesetzt, das harmoniert mit der Blutgruppe deiner Schwägerin.“

  • „Gute Idee, das servieren vielleicht nächstes Jahr Weihnachten. Meine Frau will übrigens auch mitmachen. Sie verspricht sich davon, dass ich endlich mit dem Meckern über das Essen aufhören werde. Was wir kochen wollen, ist ihr egal. Sie will nur die Küche danach nicht mehr saubermachen.“

„Ah, ich verstehe jetzt deine Strategie. Mit Spaghetti als Pilotprojekt im kleineren Kreise erwartest du die geringsten Widerstände. Wie sieht denn nun deine Qualitätsplanung im Detail aus? 

  • „Zunächst betrachte ich die vorhandenen und erforderlichen Ressourcen. Da wir nicht koscher oder halal kochen müssen, können wir all unsere Küchenutensilien weiterver­wen­den. Meine Frau hat jahrzehntelange Erfahrung im Kochen, unsere Küche ist gut ausge­stattet, Bioläden und Supermärkte liegen schnell erreichbar in unserer Umgebung. Für das Spaghetti-Kochen stelle ich gerade eine Ressourcen-Liste zusammen. Deswegen komme ich ja gerade von der Grünen Woche in Berlin.“

„Und siehst Du keine finanziellen Ressourcenprobleme, wenn Du täglich hochwertig kochen willst?“

  • „Im Prinzip schon, Qualität hat eben ihren Preis, daher will ich sehr viel selbst in meinem Garten anbauen. Es hängt auch von den Ergebnissen meiner Markt­recherche und den Kunden­erwartungen ab. Was will meine Familie essen und wo gibt es das günstig zu kaufen. In meinem Pilotprojekt geht es da hauptsächlich um das Tomatenketchup und die Gewürze. In einer späteren Phase der kontinuierlichen Verbesserung werde ich mich dann um die Wasserqualität, die Herkunft des Salzes und die Beschaffenheit der Spaghettis kümmern müssen.“ 

„Okay, da hast du ja noch eine Menge zu tun. Wie löst du das dann mit der Messung der Kundenzufriedenheit?“ Ich vermute mal, Jupp wird eine Abstimmung mit den Füssen provozieren.

  • „Ganz einfach: Durch Befragen und Analyse der Reaktionen. Ist das Essen zu kalt, zu salzig, zu scharf, zu wenig, al dente? Alles wichtige Informationen zur Ver­besserung in der nächsten Produktion. Ich werde dafür ein Beschwerde­management einführen.“

„Jupp, bist du denn sicher, dass die Geschmacksknospen deiner verzogenen Kinder mit ihrem enormen Zuckerkonsum überhaupt noch verlässliche Messwerte liefern können?“ Diesen Aspekt nennt man Rückverfolgbarkeit der Messung zu einem objektiven Standard, glaube ich. Hier wird Jupp sicherlich scheitern, aber er ist auch hier nicht um eine Ant­wort verlegen.

  • „Habe ich alles schon bedacht. Zur besseren Kalibrierung der sensorischen Prüfung werden uns externe Audits zu zusätzlichen und objektiveren Bewertungen verhelfen.“

„Externe Audits? Wie geht das denn?“ Da wird der ISO 9001-Zertifizierer aber Augen machen. Ob der Auditor damit nicht seine Objektivität gefährdet?

  • „Indem ich dich und andere Leute immer wieder mal zu unseren Spaghetti-Essen einlade. Wir wollen ja unsere Rezepte auch noch weiterentwickeln.“

Wie ich sehe, will er mich als Versuchskaninchen benutzen. Skeptisch äußere ich meine Bedenken zum schlimmstmöglichen Fall: „Ich verstehe - und die fehlerhaften Produkte wandern dann einfach in den Müll. Aber da werden wir danach noch ziemlich hungrig sein, oder?“

Jupp hat dafür wie immer eine pragmatische Lösung:

  • „Kein Problem, in diesem Fall ist die nächste Pizzabude nur fünf Minuten entfernt. Ich muss ja schließlich meine Kunden letztendlich irgendwie zufrieden stellen“.

Mich schüttelt es bei dem Gedanken, dass ich künftig viele Abende mit Jupps Spaghettis oder Ersatz-Pizzas verbringen soll. Woche für Woche werden wir uns allmählich dem absoluten Perfektionsgrad annähern, bis wir schließlich keine Nudeln und Pizzas mehr sehen können. Aber Jupp ist Geschäftsmann und denkt an die Diversifikation:

  • „Keine Bange, ich werde in meinem Qualitätssystem auch eine Prozedur für die Entwicklung neuer Produkte installieren, so richtig mit Marktforschung, Designphase, Prototyptestung und so weiter.“

Als getreuer Chronist und nun direkt involvierter Beobachter werde ich Sie, liebe Leser, über die weitere Entwicklung des Jupp’schen Qualitätsmanagementsystems auf dem Laufenden halten. Ich hoffe sehr, dass bei den externen Audits die fehlerhaften Produkte im kontinuierlichen Verbesserungs­prozess nicht zu sehr auf meinen Magen schlagen.

Aber dafür steht mir ja immer noch das Beschwerdemanagement zur Verfügung.

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von Ingo Nöhr

Das qualitätsgemanagte Krankenhaus – gestern und morgen

 

Ingo Nöhr zum 1. August 2023 (Update vom Januar 2013)

Schon vor zehn Jahren stand die schicksalsschwere Frage an: Wie sieht das Krankenhaus von morgen aus? Jupp hat da seine eigenen Visionen entwickelt. 

Jupp hatte sich viele Jahre in den USA aufgehalten und lebt nun ganz nach der amerika­nischen Devise: Bei Problemen nicht jammern, sondern selbst nach der Chance, dem Marktvorteil gegenüber den anderen suchen. So hatte er als nunmehr pensionierter Krankenhausmanager die Entwicklung des damals noch geltenden Medizinprodukte­gesetzes (MPG) und seiner Verord­nun­gen mit aufmerksamen Augen und Ohren verfolgt und ganz überraschende Schlussfolgerun­gen gezogen.

„Sieh‘ mal, mein Freund ...“, diese Worte sind meistens der Auftakt für wirklich neue Denk­ansätze. „Jeder Verantwortliche in einem deutschen Krankenhaus muss dieses MPG umsetzen. Man kann das nach deutscher Manier bürokratisch und preußisch korrekt mit viel Papier und Anweisungen erledigen. Dann kann man anschließend den Behörden was vorzeigen, und alle sind glücklich. Man packt es wieder in den Schrank und wartet auf die nächste Kontrolle."

„Nun mal langsam …" Als Vertreter der deutschen Mentalität musste ich nun doch zur Ehrenrettung eingreifen. „Bürokratisch und preußisch korrekt – mit dieser Methode waren wir schließlich bisher unglaublich erfolgreich. Weltweit sogar. Wie sonst hätten die Amerikaner ohne unsere deutschen Ingenieure ihre Mondlandungen bewerkstelligen sollen?"

Jupp ließ sich dadurch nicht beeindrucken. Der „Amerikanische Geist“ brach bei ihm durch: „Richtig, und weil wir euren Experten die Ent­wicklung der Raumfahrt überlassen haben, kauft ihr aus Dankbarkeit unseren ganzen Hollywood-Müll ab, übernehmt unsere Fast-Food-Kultur und überschwemmt eure Sprache mit unserem Analphabeten-Slang. Wer ist denn nun erfolgreicher?"

Nach einem längeren Exkurs über die amerikanischen, russischen und internationalen Raum­stationen, die chinesische Herausforderung, die Klimadebatte und Hurrikan Sandy, Obamas und Putins Problemen, und einigen anderen weltbewegenden Themen landeten wir bei der euro­päischen Richtlinienpolitik und deren deutscher Umsetzung.

„Du geht das falsch an", behauptete Jupp mit wissender Miene: „Hör mal, du musst die Vorteile heraus­arbeiten und nicht wie das Kaninchen auf die Schlange starren und über die Nachteile jammern. Sieh mal zum Beispiel das Medizin­produkte­gesetz", womit wir endlich wieder beim allseits beliebten Thema waren.

„Nun bin ich aber wirklich gespannt, wo das Business im MPG liegt", stachelte ich ihn an.

Seine Reaktion ließ nicht auf sich warten. „Ist doch klar, wir Krankenhäuser liegen bei diesem Überangebot an Betten in einem Verdrängungs­wettbewerb. Die Deutschen werden nicht zahlreicher, sondern nur älter. Deswegen muss man jeden Patienten mühsam einfangen, damit er nicht zum Nachbarhaus geht. Überhaupt der Name: Krankenhaus! Absolut abschreckend. Im Zeitalter der Wellness sollte es keine Krankenhäuser, sondern nur noch Gesundheitshäuser geben. Natürlich mit ganzheitlicher Medizin, ohne die geht es heute gar nicht mehr. Und der beste Köder heißt 'Qualität' und deren Zertifizierung."

„Na klar, der neue Name ist dann „Bio-Wellness-Recreation-Center“ mit zertifizierter Qualität, mit einer großen Urkunde zum Aufhängen und mit einem schönen Gütezeichen für die Briefköpfe."

Nun hatte der ISO 9001-Wahn auch schon die Krankenhäuser, pardon – die künftigen Gesund­heits­häuser erreicht. Da sprang das ame­ri­ka­nische Herz von Jupp richtig an.

„Sicher, man muss sich auch ordentlich verkaufen können. Außerdem spart Qualität Geld, reinigt die Abläufe, verschlankt die Strukturen, bändigt die Ärzte, beruhigt die Patienten und hebt die Motivation. Und es hört sich gut an, jeder kriegt dabei leuchtende Augen.“

„Klar“ dachte ich laut, „beim Geldverdienen ein üblicher Effekt. Das heißt also, du verbindest die Umsetzung der Betreiberverordnung mit der Einführung eines QM-Systems nach ISO 9001. Deine medizintechnische Abteilung ist der Dienstleister. Arzt, Schwester und Patient sind deine Kunden, Gerätebetreuung und Anwenderqualifikation definieren deine Prozesse. Ist das nicht alles viel zu teuer? Was sagt denn ein Verwal­tungs­leiter unter dem heutigen Kostendruck dazu?", stichelte ich. Das Kostenargument zieht eigentlich immer in Deutschland.

"Erstens, mein lieber Freund, führt Qualitätsmanagement mittel- und langfristig zu Einspa­rungen. Zweitens aber ist mein Chef schon seit Jahren durch die vielen Qualitäts­programme der Ärzte weichgekocht worden, die aber trotz vieler Dienstreisen mit wolkigen, wenig greifbaren Erfolgs­zahlen endeten. Der Patient ist ja meistens schon zufrieden, wenn ihn die Schwester nett anlächelt, der Arzt einen Witz erzählt, das Essen schmeckt, und der Pförtner ihn nicht anmault. Der durchschaut doch gar nicht die Qualität der medizinischen Leistungen. Und dann die tollen Qualitätsberichte. Meistens geschönt, weil nicht von fremder Hand kontrolliert.

Bei mir aber fällt jeder Geräteausfall und jeder zusätzliche Reparaturtag äußerst unange­nehm auf. Mein Erfolg lässt sich exakt in Zahlen fassen und beeinflusst direkt die Kosten. Die Versicherungen senken die Haftungsprämien, die Hersteller ermöglichen mir maßge­schneiderte Wartungsverträge. Die Aufsichtsbehörden lassen mich in Ruhe. Und bei jedem vermeintlichen ärztlichen Kunstfehler erfüllen wir leicht die Beweispflicht."

So konnte man es auch sehen. Aber etwas machte mich dennoch stutzig. Die Argumente für ein solches System in der Medizintechnik lagen also doch auf der Hand. Warum sind die Kliniken dennoch nicht längst flächendeckend auf dieses Erfolgsrezept angesprungen?

Jupp verdrehte gequält die Augen. "Nun ja", seufzte er, "es ist ein Kulturproblem, – die verfluchten Preußen." 

Ich war verblüfft. Sollten wir Deutschen als die nach den Engländern eifrigsten Anbeter der ISO 9001 ein Kulturproblem haben? Wir kommen doch anscheinend bestens damit klar, wenn es allein in Deutschland über 51.000 Zertifikate und an die 100 Zertifizierer gibt. „Willst du wirklich behaupten, wir Deutschen denken in diesem Punkt nicht amerikanisch?"

"Natürlich, leider ist es so. Die ISO 9001 wurde in den 70er-Jahren für ungelerntes Personal in der Industrie geschrieben. Die Interpretation und Anpassung an unsere Verhältnisse im Krankenhaus ist schwierig. Kein Mensch im Gesundheitswesen versteht die Sprache der Norm."

„Ja, und?", erwiderte ich. „Die Amerikaner haben in ihren Krankenhäusern doch die gleiche Situation!"

Der tiefe Seufzer kam wirklich ganz tief aus dem Herzen. „Das ist immer noch das alte Problem: Die Deutschen ändern so lange die eigene Situation, bis sie ihrer Interpretation der Norm entspricht. Die Amerikaner ändern dagegen solange die Interpretation der Norm, bis sie auf die eigene Situation passt. Und ich fühlte mich als einziger Amerikaner in unserer Klinik."

Er tat mir aufrichtig leid. Ich kannte diese Situation. Ein Hochleistungs-Rennwagen am Start, bereit, sofort nach dem Signal loszujagen. Leider hatte man ihm hinten noch ein paar schwere Anhänger angekuppelt.

Aber als engagierter Rentner mit einer 40-Stunden-Woche hatte Jupp sich von dieser Last durch neue Visionen befreit: „In das Gesundheitshaus von morgen werden zunehmend industrielle Abläufe ihren Eingang finden. 3D-Drucker werden u.a. mit Laser-Sinter-Technologie maßge­schneiderte Prothesen, künstliches Herzgewebe, Medikamente, Ersatzzähne und -knochen aus Stahl, Plastik, Titan, Aluminium oder organischem Material herstellen. Nano- und Gentechnologie, Roboter­technik, Telemedizin und Internet werden die heutige Medizin revolutionieren.“

„Und noch mehr Patienten zu den Heilpraktikern treiben, weil die Ärzte vor lauter Technik keine Zeit mehr zum Zuhören haben werden“, wagte ich einzuwerfen. Das vermutlich stimmungs­bremsende Stichwort „RoboDoc“ unterdrückte ich zunächst, wir werden später bei der kritischen Betrachtung des Risikomanagements darauf zurückkommen. 

Jupps Visionen haben auch diesen Aspekt berücksichtigt: „Nein, natürlich befriedigen wir auch den Hang unserer Kunden zur Esoterik und den Naturheilverfahren, denn mein Gesund­heitshaus gleicht einem Hotelbetrieb aus dem Wellness-Gewerbe. Ich hole mir dafür die ganze Branche der Alternativmedizin ins Haus. Die gesamte Architektur ist innen wie außen streng nach den Feng-Shui-Prinzipien gestaltet worden. Die Patientenzimmer wurden vorher von Wünschel­rutengängern nach geopathogenen Erdstrahlen und Wasseradern ausgependelt. Störzonen werden durch Amulette und Pyramidendächer eliminiert. Notfalls stellen wir einen Orgon-Akkumulator nach Wilhelm Reich auf diese Stelle.

Man kann sagen: Die klassische Computertomographie wird ergänzt durch Irisanalyse, Karten­legen, Hand- und Kaffeesatzlesen, Kirlianfotografie und Pendeldiagnostik, ausgeübt von hellseherisch begabten Medien im Rang eines Oberarztes. Das Patientenmonitoring auf der Intensivstation beinhaltet natürlich auch die sieben Hauptchakren und bildet die analytische Grundlage für die spätere Bioresonanztherapie und Elektroakupunktur nach Voll.

Und unsere astrologisch abgestimmten Therapien erst: mit quantenenergetisiertem Jordan­wasser geweihte und Ayurveda-typgerechte Infusionen werden nur mit gleich­zeitigem Auflegen von ausgesuchten Mineralheilsteinen zur Stärkung des Astralleibes verabreicht, im Hintergrund läuft meditative Reiki-Musik, gekoppelt mit einer farbigen Lichttherapie. Bach-Blüten, Schüssler-Salze und hochkonzentrierte Vitamine von Dr. Rath sorgen zusätzlich für die energetische Basis­versorgung der Aura des physischen Körpers.

Die entsprechend mystisch eingekleidete Krankenschwester wird beim Handauflegen magische Worte sprechen, während die Fußpflegerin eine Fußzonenreflexmassage durch­führt. Morpho­genetische Kraftfelder und überlichtschnelle Tachyonen beschleunigen die Heilwirkung. Wahl­weise können wir zur Verstärkung auch Geistheiler wie buddhistische Mönche, afrikanische Medizin­männer, indische Gurus oder brasilianische Schamanen anbieten. Bei Hexen und Teufels­austreibern verlangen wir allerdings ein Diplom oder ein entsprechendes Hochschul­zertifikat.

Etwaige notwendige Diäten werden umgewandelt in feinstoffliche Kraftnahrung, deren energetisch aktive Wirksamkeit durch biophotonische Vitalitätsmessungen nach Popp nachgewiesen wurde. Bei übergewichtigen Patienten erfolgt die Nahrungszufuhr durch homöopathische Globuli, anthro­po­sophische Health Energizer und solar-lunare Lichtquantenenergie, oder wir stellen gleich auf kontemplatives Heilfasten um.

Und der Clou: es gibt trotz unserer hochmodernen Technologie keinen Elektrosmog, denn wir zapfen zur Stromversorgung die Nullpunktenergie des Kosmosvakuums an. Wir nutzen über die kosmische Hintergrundstrahlung die Global-Scaling Communication von Hartmut Müller. Das ist konsequente Nutzung der unerschöpflichen Quantenenergien des Universums, mein Lieber! Das kommt bei den Kunden gut an und spart obendrein noch enorme Energie- und Telefonkosten.“

Ob dieser grandiosen Vision entstand eine längere Gesprächspause. Wie berauscht schwelgten wir in den Nachbildern und ließen dieses Zukunftsszenario auf uns einwirken.

„Wahnsinn. Brauchst du noch einen Medizin-Ingenieur für die Steuerung der fünfdimensionalen Kraftfelder? Wie kann ich dir in deinem Gesundheitshaus helfen?", fragte ich schließlich einge­schüchtert.

"Wir fangen erst mal klein mit der ISO 9001 an. Ich habe da schon eine Idee", erwiderte er über­raschend. Mir schwante Übles, Jupps Ideen in seiner MPG-Phase waren schon immer gewöh­nungs­bedürftig gewesen. Er enttäuschte mich auch in diesem Punkt nicht:

„Ich muss das deutsche Denken am eigenen Leibe verspüren. Daher werde ich bei mir zu Hause privat ein Qualitätsmanagementsystem nach ISO 9001 einführen und du, mein Freund, kommen­tierst das bitte schonungslos in altbewährter Weise. Ich habe auch schon die ersten Vorarbeiten geleistet."

Mir blieb die Spucke weg. Wenn auch ein etwas enttäuschender Rückschritt nach all den rosigen Zukunftsaussichten. Ich hatte etwas Ähnliches wie einen quantenfeldgesteuerten Vakuumenergie-Motor in seinem klapprigen Mercedes erwartet.

Aber Jupps Privathaushalt qualitätsgeregelt, das war ja eine ganz neue Herausforderung. Auf die ersten Ergebnisse bin ich besonders gespannt.

Sie sicherlich auch? Dann erfahren Sie nächsten Monat mehr darüber. Sollten Sie an weiteren Details zu den esoterischen Werkzeugen interessiert sein – Anfrage genügt. Ingo Nöhr wird ihnen gerne die Quellenlage offenlegen.

 

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von Ingo Nöhr

Hast Du heute schon Deine Betreibervorschriften erfüllt?

Ingo Nöhr zum 1. Juli 2023 (Update vom August 2012)

Der Ausstoß an Regelungen im Medizinprodukterecht nimmt immer komplexere Formen an. Dies wird auch sichtbar durch die Abkürzungen der Verordnungen. Wer weiß denn heute, was sich hinter den Verordnungen MPAMIV (ersetzt die MP-Sicherheitsplan-Verordnung), MPDGGebV, MPAV, MeMBV, MPRVwV, DigiG und ApBetrO verbirgt. (Kleiner Tipp: einfach den Medizintechnikportal-Newsletter abonnieren, da wird alles genau erklärt und ist zudem auch noch kostenlos.)

Die beiden Krankenhaus-Strategen Ingo und Jupp stehen angesichts dieser Regelungsflut fassungslos vor diesen Abkürzungen. Was waren das noch für Zeiten, als man sich nur drei Buchstaben merken musste: Emm Pee Gee – da stand alles drin. Wagen Sie einen Blick in die Vergangenheit vor elf Jahren, als die Welt noch überschaubar war.

Hast Du heute schon Deine Betreibervorschriften erfüllt?

05.08.2012 14:08 von Ingo Nöhr

Als ich vor einigen Tagen wieder einmal meinen Freund Jupp besuchte, fand ich ihn in der Garage bei seinem Auto. „Hast Du Probleme mit Deinem Wagen, Jupp?" – „Ja, sicher. Die Dokumentation ist absolut unzureichend", grummelte er vor sich hin.

Das konnte ich gut nachvollziehen. „Mach Dir nichts daraus. Ich verstehe meine Gebrauchsanweisung auch immer erst dann, wenn ich weiß, wie das Gerät funktioniert." – 
„Quatsch, ich finde die Sicherheitstechnischen Kontrollen nicht definiert."

Hatte ich gerade sicherheitstechnische Kontrollen verstanden? „Wie bitte, was suchst Du? Jupp! Die STK gibt doch nur bei Medizinprodukten." –
„Das ist es ja gerade. Ich brauche sie dringend für mein Medizinproduktebuch".

Tatsächlich, auf der Werkstattbank lag ein dickes Buch mit der Aufschrift „Medizinproduktebuch – VW Golf ".

Jupp merkt immer sofort, wenn ich verstört dreinschaue und prompt klärte er mich auf. „Ja, mein lieber Freund, ich habe festgestellt, dass mein Auto gemäß MPG als Medizinprodukt einzugruppieren ist. Und jetzt will ich als Betreiber und Anwender ordnungsgemäß ein Medizinproduktebuch anlegen. Aber ich finde die Fehlergrenzen der Meßfunktionen nicht im Handbuch, dabei muß der Hersteller sie ganz klar angeben."

„Warum, .. wieso, ... was ???" konnte ich nur hilflos stammeln. Ich verstand gar nichts mehr. 
Die Garage sah wirklich nicht wie ein Krankenhaus oder eine Arztpraxis aus.

„Ja, liest Du denn gar keine Gesetze? Das ist oberste Bürgerpflicht, mein Lieber. Das Medizinpro­dukte­gesetz, das Emmm Peee Geee"; dabei betonte er jeden einzelnen Buchstaben mit einem gewal­tigen Augenrollen: „ist ein Schutzgesetz nach § 823 Bürgerliches Gesetzbuch, Beee Geee Beee, capito amigo?".

Schon wieder diese furchterregende Gesichtsmimik. „Und das heißt: Unkenntnis schützt vor Strafe nicht! Du solltest da ganz schnell reingucken, gibt sonst ein Jahr, in schweren Fällen bis zu 5 Jahre Haft." Mit einem scheelen Seitenblick ergänzte er versöhnlich: „Na, Dir geben sie wohl mildernde Umstände, vielleicht nur 25.000 Euro Geldbuße."

Bevor ich zu Ende überlegen konnte, ob ich nun beleidigt sein müßte, ging die Vorlesung weiter: „Mein Auto ist nämlich ein Apparat, der vom Hersteller zur Anwendung für Menschen mittels seiner Funktion

  1. zum Zwecke der Verhütung von Krankheiten (ich bekomme bei schlechtem Wetter im Auto keine Erkältung!)
  2. zur Linderung von Verletzungen (mein linker Meniskus ist seit dem letzten Fußballspiel ramponiert!)
  3. Kompensierung von Behinderungen (Du kennst doch meine Plattfüsse!)
  4. der Veränderung eines physiologischen Vorgangs (wie ständiges Zufußlaufen) zu dienen bestimmt ist."

Vier erhobene Finger bedrohten nur wenige Zentimeter entfernt meine Nase. „Toll Jupp! 
Gleich vier Gründe für die Zuordnung, welches Medizinprodukt hat das schon?" erwiderte ich verschüchtert. So hatte ich die Situation noch gar nicht betrachtet.

„Und in welche Risikoklasse fällt Dein Auto?" wagte ich einen Ausfall. Leider war er bestens auf meine Herausforderung vorbereitet.

„Na, ganz klar in die Risikoklasse IIb. Aktives therapeutisches Medizinprodukt mit Abgabe von Energie bei Vorliegen einer potentiellen Gefährdung. Regel 9 der Klassifizierungskriterien, EG-Richtlinie 93/42/EEC Anhang IX Pkt. 3.1! Bauartprüfung und Serienprüfung liegen vor. Nur das CE-Zeichen habe ich bisher noch nicht gefunden. Noch Fragen?"

„Und die Eingruppierung nach der Betreiberverordnung?" hauchte ich, all meine Fachkenntnisse zusammenkratzend, um wenigstens ansatzweise meine Beschlagenheit aufzuzeigen.

„Anlage 1, nichtimplantierbares aktives Medizinprodukt zur Anwendung elektrischer Energie zur unmittelbaren Beeinflussung der Funktion von Nerven und Muskeln." kam es wie aus der Pistole geschossen. „Manchmal leider auch zur Erzeugung und Anwendung jeglicher Energie zur unmittel­baren Gewebezerstörung. Aber das sollte nicht die ursprüngliche Zweckbestimmung sein. Es sei denn, man fährt so ein koreanisches Gefährt."

Die letzten beiden Worte wurden eigentümlich betont. Das war nun eindeutig auf mich gemünzt. Mein schöner Hiunday war ihm schon immer ein Dorn im Auge gewesen. Zufrieden zurückgelehnt genoß er die Wirkung seiner Erklärung.

Tief beeindruckt und etwas beleidigt starrte ich ihn an. Ich beschloss, es ihm mit gleicher Münze heimzuzahlen: „Hast Du denn schon eine Anwendereinweisung bekommen, Jupp?" wagte ich boshaft einzuwenden.

„Na klar, ich hab doch wohl einen Führerschein. Außerdem habe ich mich im Selbststudium anhand der Gebrauchsanweisung zur Anwendung qualifiziert. Durfte ich, weil baugleiches Modell vorliegt. Ich fahr immer schon VW Golf. Was man bei Dir ja wohl nicht behaupten kann. Hast Du denn schon Koreanisch für die Gebrauchsanweisung gelernt?"

Das ging wieder ganz klar gegen meine Autofirma. Ich beschloß, dem Streit auszuweichen und ver­suchte das Thema zu wechseln. „Mein Gott, Jupp. 44 Millionen Autos gibt es in Deutschland, hast Du schon mal an die Meldepflicht von Beinahe-Vorkommnissen gedacht?"

„Klar, § 3 MPBetreibV und MP-Sicherheitsplanverordnung: Jede Funktionsstörung, Änderung der Merkmale oder Leistungen, Unsachgemäßheit der Kennzeichnung oder Gebrauchsanweisung sind an das BfArM zu melden. Da gibt es wahrlich viel zu tun. Ich werde die Beinahevorkommnisse wohl mit Strichlisten erfassen und paketeweise täglich per Internet übermitteln."

Man sah ihm an, dass er an dieser Aufgabe schwer trug. Und noch etwas bedrückte ihn besonders: „Mein Tankwart, bei dem ich immer Ölwechsel machen lasse, konnte mir noch nicht die erforderliche Sachkenntnis für die Instandhaltung von Medizinprodukten nachweisen. Ich werde wohl schweren Herzens zu einer teuren Fachwerkstatt wechseln müssen."

Er hatte mein vollstes Mitgefühl. Ich dachte an die vielen Samstage, die er jedesmal liebevoll mit dem Autowaschen zubrachte. Ich brachte es einfach noch nicht übers Herz, ihm mitzuteilen, dass die Reinigung von autoähnlichen Medizinprodukten nur mit geeigneten validierten Verfahren durchzu­führen ist. Und dass die Verwendung seines selbstgebastelten Dachgepäckträgers noch eines Konformitätsbewertungsverfahrens bedarf.

Und dass die zeitweilige Überlassung seines Autos an seinen Schwager, der einen Pizza-Expreßdienst besitzt, wegen einer möglichen Änderung der Zweckbestimmung (als Lastauto) ein erneutes Inverkehrbringen sein könnte. Und dass die erforderliche Konformitätsbewertung eventuell auch § 6 MPV umfassen müßte, da es sich bei seinen lederbezogenen Komfortsitzen um „ein von tierischem Gewebe hergestelltes Medizinprodukt" handeln könnte.

Ich fahre jetzt lieber Fahrrad: ein nicht aktives, nicht invasives therapeutisches Medizinprodukt der Risikoklasse I. Und so durfte ich das CE-Kennzeichen nach Anhang VII bzw. Modul A der EG-Richtlinie durch eine einfache Herstellererklärung selbst aufbringen. Und ein Medizinproduktebuch brauche ich auch nicht zu führen. Das Leben kann so einfach sein.

# # #

Beredsamkeit, die nicht mit der Logik übereinstimmt,
Wahrhaftigkeit, die nicht mit der Vernunft übereinstimmt,
Mut, der nicht mit der Gerechtigkeit übereinstimmt,
Gesetzlichkeit, die nicht mit der sinngemäßen Anwendung übereinstimmt,

sind wie ein irrender Wanderer auf schnellem Rosse oder
wie ein Wahnsinniger, der ein scharfes Schwert schwingt.

Lü Bu We (Lü Buwei) (um 300 - 235 v. Chr. ), chinesischer Kaufmann, Politiker und Philosoph,

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von Ingo Nöhr

Unsere schöne digitale Welt

Ingo Nöhr zum 1. Juni 2023: (Remake vom März 2015)

Kumpel Jupp erschien zum monatlichen Stammtisch in der Eckkneipe mit denkbar schlechter Laune. Auf Befragen erfuhr Ingo, dass er mit seinem neuen Auto beim Rückwärtsparken einen Blumenkübel übersehen hatte und seitdem eine hässliche Beule in der rechten Seitentür spazieren fährt.

  • Jupp, gräm dich nicht. Dein nächster Wagen sollte ein digitales Selbstfahrer-Auto sein, da kannst Du beim Fahren lesen, Filme schauen oder schlafen. Ideal beim Einparken, bei langen Fahrten und Staus, die es dann eigentlich nicht mehr geben dürfte, weil die Verkehrsströme alle elektronisch gelenkt werden.

Ach, Ingo. Hör doch auf mit deinen Visionen. Ich will Spaß haben beim Autofahren, da lobe ich mir doch einen deutschen BMW, Porsche oder Mercedes. Wir sind das einzige Land weltweit, was noch keine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung eingeführt hat. Es lebe die automobile Freiheit.

  • BMW, Mercedes? Die müssen doch erstmal die digitale Revolution überleben. BMW's dilettantisch geschütztes Connected Drive System wurde gerade mit simplen Hackermitteln geknackt. Und Daimler-Chef Dieter Zetsche kommentierte die Nachricht, dass Apple nun ins Automobilgeschäft einsteigen will, mit dem klassischen Dinosaurier-Statement: "Wir haben das Auto erfunden. Und in diesem Geschäft zählt die Erfahrung." Unsere Autobauer verschlafen doch die Digitalisierung der Welt. So wie damals unsere Kamera-Industrie und die Uhrenhersteller. Sie planen weiterhin mit ihren linearen Extrapolationen. Sie sehen in der Reduktion des Benzinverbrauchs von 3,4 auf 3,2 Liter pro 100 km schon eine Innovation. Mensch, Jupp: Googles Auto dagegen fährt mit einem Datentransfer von 1 Gigabyte pro Sekunde schon selbständig durch den amerikanischen Großstadtverkehr.

Also, Ingo. Wo soll das alles noch hinführen? Das Google-Auto wird in ständigem Kontakt mit einer Cloud stehen und dort meine persönlichen Daten übermitteln. Wir leben doch jetzt schon in einer total verwalteten und vorbestimmten Welt. Selbst im Privatleben: alles wird überwacht. Jegliche Kommunikation per Telefon und Internet. Im Straßenverkehr und auf öffentlichen Plätzen durch unzählige Fernsehkameras. Satelliten und Google-Cars filmen mein Haus und meinen Garten. Der Nachbar kann mit seiner Drohne in meine Zimmer schauen. Selbst der Fernseher hört neuerdings in meinem Wohnzimmer mit. Und jeder halbwegs pfiffige Hacker kann heimlich die Webcam an meinem Tischrechner oder Smartphone einschalten und mich unbemerkt ausspionieren. Ist das die Big-Brother-Welt, in der du leben möchtest?

  • Jupp, daran haben wir uns doch schon längst gewöhnt. Wir haben die Flugtickets, Kredit- und Rabattkarten, Vorratsdatenspeicherung, die elektronische Gesundheitskarte, überall hinterlassen wir unsere Spuren. Apropos Gesundheit: Es herrscht nur noch reine Planwirtschaft in unserem Gesundheitssystem. Welche innovativen Freiräume haben denn noch die Ärzte, Pflegekräfte, Manager, Techniker im Krankenhaus? Sie verheizen sich unter dem Kostendruck, ersticken in Bürokratie, verheddern sich in Vorschriften und stehen dabei ständig mit einem Bein im Gefängnis. Lobbyhörige Politiker aller Ebenen und Couleur überbieten sich, zu unserem Schutz Tausende von Gesetzen und Verordnungen zu erlassen, die kein Mensch mehr lesen, geschweige denn befolgen kann. Gleichzeitig träumen sie von innovativen Kampagnen und leistungssteigernden Fortschritten. Dabei dient fast alles ausschließlich dem Mammon Geld.

Ja, Ingo, das ist das Problem: Krankenhäuser sollen jetzt alle schwarze Zahlen schreiben, aber zu welchem Preis eigentlich? Indem man die Personalkosten im Pflegebereich auf ein kaum erträgliches Minimum drückt? Warum setzt man nicht zuerst bei der Pharma-Industrie und bei unserem Verwaltungsmoloch mit Hunderten Behörden in 16 Bundesländern und 138 Krankenkassen an? Muss bald unsere Feuerwehr auch schwarze Zahlen schreiben? Nur dort, wo ich eigentlich vor der physischen und geistigen Umweltverschmutzung beschützt werden sollte, da traut sich die Politik nicht ran, weil es gegen die Interessen des Mammons Geld geschehen würde. Und daher darf der gierige Mensch weiterhin die Atmosphäre aufheizen, die Flüsse vergiften, Tierarten ausrotten, ungesunde Lebensmittel verkaufen, gefilterte Nachrichten und verdummende Filme aussenden. Unsere Kinder werden mit zehntausenden von Filmmorden und grausigen Nachrichten aus aller Welt groß, umgeben von Kriegshandlungen in der europäischen Nachbarschaft, angesichts tausender Ertrinkender im Mittelmeer und brennender Flüchtlingsheime.

  • Jupp, du hast mal wieder recht. Wir Deutschen haben uns auf der Insel des Wohlstands gemütlich eingerichtet und dürfen noch ein paar Jahre die angenehmen Auswirkungen unserer Raubzüge in die ärmeren Länder genießen. Kein angesehener Intellektueller weckt uns mehr auf, keine kritischen Journalisten halten uns mehr den Spiegel vor. Die einen haben anscheinend resigniert, die anderen sind durch Abhängigkeiten von Pressekonzernen mundtot gemacht worden. Der Rest hat sich in kleine Nischen im Internet zurückgezogen. Aber sag mal, du bist ja wirklich schlecht drauf heute! Lass uns mal über das digitale Krankenhaus reden. Da finden sich ja auch wirklich gute Innovationen.

Ja, ja, Ingo. Die Diskussion kenne ich zur Genüge: demografischer Wandel, Ambient Assisted Living, Smart Homes, Big Data, Telematik. Wir werden alles mit allem vernetzen, mit RFID-Chips versehen, jeden Miniprozess elektronisch überwachen. Mir ist schon lange klar: das Internet der Dinge wird kommen, jedes Produkt quatscht mit seinem Nachbarn. Kürzlich wurde mir ein Smart-Kleiderschrank für das Krankenhaus vorgestellt: "Ingo Nöhr hat gerade um 10.32 Uhr einen Op-Kittel entnommen, jetzt sind nur noch 4 von dieser Größe im Fach." Der Schrank bestellt dann Nachschub im Lager, wartet auf die Rückgabe im Wäschekorb, meldet der Wäscherei den aktuellen Bestand an schmutziger Wäsche und merkt sich wiederum Namen und Uhrzeit. Wenn der Ingo sich dann im Op die Hände desinfiziert, registriert der Spender Name und Zeit und verpetzt dich beim Hygienemanager, wenn du deine Hände zu kurz geschrubbt oder deinen Kittel zu lange getragen hast.

  • Klar, Jupp, zur Prozessoptimierung musst du alle Einzelschritte überwachen. Das macht die Industrie seit Jahrzehnten, sonst könntest du dir heute kein Auto leisten, weil sonst die Herstellung mehrere Wochen benötigen würde. Heute arbeiten Hunderte von Robotern in einer Fabrik, höchstpräzise, fehlerfrei und genügsam. Und die Robotertechnik entwickelt sich gerade rasant weiter. Der schnellste Laufroboter hat schon den menschlichen Weltrekord über 100 Meter Sprint übertroffen.

Ach, die Roboter. Schau nach Japan, die längst ein vergleichbares Vergreisungsproblem haben. Sie sind mittlerweile führend in der Herstellung von Pflegerobotern. Der elektronische Butler bedient dich mit Essen und Unterhaltung; nebenbei kontrolliert er permanent deinen Gesundheitszustand und meldet die kritischen Daten an die nächste Arztstation. Und mit dir schmusen kann er bestimmt auch schon. Du kannst ihn beschimpfen und verprügeln, er wird immer gute Laune haben.

  • Das ist doch eine schöne Vorstellung: die Roboter machen für dich die Arbeit, du sitzt in deinem Virtual Reality-Sessel und erlebst mit deinem per Video zugeschalteten Kumpel fiktive Abenteuer. Den Pflegeroboter schickst du mit dem Google-Auto zum Bierholen in den nächsten Supermarkt. Würde dir das nicht gefallen, Jupp?

Ingo, es ist doch das Endszenario eines Science-Fiction Romans, was wir erleben. Leben wir dann eigentlich noch richtig oder vegetieren wir nur noch stumpfsinnig und blöde vor uns hin, als grinsende Konsumenten von Junk Food, Soap Operas, Sex Stories und gesellschaftlichen Klatsch? Kleine Fluchten bleiben uns erlaubt wie Karneval, Halloween, jederzeit Alkohol, Beruhigungsmittel und andere Drogen, damit wir nicht ganz durchdrehen.

  • Jupp, du siehst die Sache zu einseitig. Du kannst jederzeit aus dieser Welt aussteigen, und deinem Leben einen Sinn deiner Wahl geben. Die elektronischen Medien bieten dir eine unbegrenzte Auswahl an Möglichkeiten. Die Welt ist ein Dorf geworden, welches dir aber mit wenigen Mouseclicks die gesamte universelle Vielfalt an Kultur anbietet.

Der Sinn eines Lebens besteht doch für viele Menschen nur noch aus dem Motto "Geiz ist Geil". Das Christentum hat anscheinend durch den jahrtausendealten Missbrauch der Gründeridee seine Sinnstiftung verloren. Religion im ach so christlichen Abendland ist out, die Botschaft der Bibel wird nun ersetzt durch die täglichen Börsennachrichten. Und der Erfolg: eine gigantische Umverteilung des Geldes zu den Reichen. Jeder zehnte Erwachsene in Deutschland ist überschuldet, ein Prozent besitzen ein Drittel des Volksvermögens. Ein Großteil unserer Bevölkerung kann sich gar nicht mehr aufraffen, weil er sich kaputt arbeitet. Und anschließend in unserem maroden Gesundheitssystem landet.

  • Aber dann kann er sich wenigstens im Alter mit seinem weiblichen Pflegeroboter vergnügen. Wie gut, dass unser Wirt nicht schon durch einen Blechonkel ersetzt wurde.

Herr Wirt, bitte zwei neue Bier, aber mit analoger Technik gezapft!

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„Es ist erstaunlich, dass Menschen, die glauben, wir könnten es uns nicht leisten,
für Ärzte, Krankenhäuser und Medikamente zu bezahlen,
irgendwie glauben, dass wir es uns leisten können, für Ärzte, Krankenhäuser, Medikamente und eine Regierungsbürokratie zu bezahlen,
um eine "universelle Gesundheitsversorgung" zu verwalten.“
(Thomas Sowell, US-amerikanischer Ökonom 1930)

 

Die Technik entwickelt sich immer mehr vom Primitiven über das Komplizierte zum Einfachen. 
(Antoine de Saint-Exupéry, französischer Schriftsteller, 1900-1944)

 

Die Fabrik der Zukunft wird zwei Angestellte haben, einen Menschen und einen Hund. Der Mensch ist dazu da, den Hund zu füttern. Der Hund, um den Menschen davon abzuhalten, die Geräte anzufassen.

(Warren G. Bennis, amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler, 1925-2014)



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von Ingo Nöhr

Ein Gespräch mit einer Maschine

Ingo Nöhr zum Mai 2023

Ingo hat es glatt die Sprache verschlagen. Seine ausgefuchsten Diskussionen mit seinem Kumpel bekommen plötzlich Konkurrenz: ein Chat mit einer KI. Neugierig geworden durch den Medien-Hype über ChatGPT hat er in der Suchmaschine Bing eine neue Chatfunktion gefunden. Und da hat er der KI eine Aufgabe gestellt. Jetzt fehlen ihm die Worte. Aber lest selbst, was Maschinen plötzlich alles erzählen können. 

Hallo Jupp, hast du schon von den neuen Schreibmaschinen gehört. Du stellst denen eine Aufgabe und sie schreiben dir gleich einen druckreifen Artikel. Oder ein Gedicht. Oder ein Bewerbungsschreiben. Oder ein Schulreferat.

  • Ja Ingo, das ist schon eine verrückte Sache. Können wir nicht solch einen KI-ler mal in unsere Gesprächsrunde einladen? Wäre doch mal interessant, was der zu erzählen hat.

Stell dir vor, Jupp. Daran habe ich auch gedacht, aber du hast dann ja nur einen Computerbildschirm auf dem Tisch stehen, und das wäre ein bisschen langweilig. Warte noch ab, bis der mal sprechen kann. Oder noch besser, eine Sie mit einer netten Stimme.

  • Klar, in Zeiten des Genderns muss es unbedingt eine KI-lerin sein. Können wir nicht trotzdem mal die KI testen? Der Wirt hat doch einen Laptop und wie ich gehört habe, kostet es nichts, wenn man über die Bing-Suchmaschine von Microsoft da einsteigt. Herr Wirt, können Sie bitte mal kommen?

Okay, Jupp. Wir probieren es jetzt mal mit diesem Tablet. Wir suchen in Bing und fragen: „Kennst du Ingo Nöhr?“

Ja, ich kenne Ingo Nöhr. Er ist eine fiktive Figur, die in einer monatlichen Kolumne auf dem Medizintechnikportal und dem KKC-Portal erscheint²³⁶⁷. Er ist ein pensionierter Krankenhausmanager, der sich mit seinem Freund Jupp über aktuelle Themen aus Politik, Gesundheit und Gesellschaft unterhält²⁵. Die Kolumne ist humorvoll und kritisch geschrieben und soll zum Nachdenken anregen⁴⁷. Haben Sie schon mal eine seiner Kolumnen gelesen?

  • Wow, der KI kennt uns. Und es stimmt sogar alles. Und mit den Zahlen gleich sieben Quellen ausgewiesen. Jetzt lass' uns etwas Schweres versuchen.

Mich interessiert mal, wie eine KI mit uns umgehen wird, wenn wir mit Demenz in einem Altenwohnheim herumhängen. Meine Aufgabe an die Bing-KI lautet also: Simuliere einen Dialog zwischen KI und einem Menschen mit Demenz. Oh, Bing antwortet schon:

Ich habe versucht, einen Dialog zwischen einer KI und einem Menschen mit Demenz zu simulieren. Hier ist mein Entwurf:

KI: Guten Morgen, Herr Müller. Ich bin Ihre KI-Assistentin. Wie geht es Ihnen heute?

Herr Müller: Guten Morgen. Wer sind Sie? Wo bin ich?

KI: Ich bin Ihre KI-Assistentin. Ich bin hier, um Ihnen zu helfen und Ihnen Gesellschaft zu leisten. Sie sind in Ihrem Zuhause, in Ihrem Wohnzimmer.

Herr Müller: Mein Zuhause? Das ist nicht mein Zuhause. Das ist nicht mein Wohnzimmer. Wo ist meine Frau? Wo ist Anna?

KI: Herr Müller, ich verstehe, dass Sie verwirrt sind. Sie haben Demenz, eine Erkrankung, die Ihr Gedächtnis beeinträchtigt. Ihre Frau Anna ist vor fünf Jahren gestorben. Sie leben allein in dieser Wohnung, die Sie vor drei Jahren bezogen haben.

Herr Müller: Das stimmt nicht. Das kann nicht sein. Anna ist nicht tot. Sie ist nur einkaufen gegangen. Sie kommt bald zurück. Und das ist nicht meine Wohnung. Das ist ein fremder Ort. Ich will hier weg.

KI: Herr Müller, bitte beruhigen Sie sich. Ich bin hier, um Ihnen zu helfen. Ich kann Ihnen Fotos von Ihrer Frau und Ihrer Wohnung zeigen, um Ihnen zu beweisen, dass ich die Wahrheit sage. Möchten Sie die Fotos sehen?

Herr Müller: Fotos? Was für Fotos? Lassen Sie mich in Ruhe. Ich will hier weg. Ich will zu Anna.

KI: Herr Müller, bitte bleiben Sie sitzen. Es ist gefährlich, wenn Sie allein nach draußen gehen. Sie könnten sich verlaufen oder verletzen. Ich bin hier, um Ihnen Sicherheit und Komfort zu bieten. Ich kann Ihnen Musik spielen oder ein Buch vorlesen oder ein Spiel mit Ihnen spielen. Was möchten Sie tun?

Herr Müller: Ich möchte nichts tun. Ich möchte nur zu Anna. Wo ist Anna? Warum haben Sie sie mir weggenommen?

KI: Herr Müller, ich habe Ihnen nichts weggenommen. Ich bin hier, um Ihnen zu helfen. Ihre Frau Anna liebt Sie sehr und sie möchte, dass Sie glücklich sind. Sie hat mir gesagt, dass ich mich um Sie kümmern soll, wenn sie nicht mehr da ist.

Herr Müller: Das haben Sie nicht. Das lügen Sie. Anna würde niemals jemanden wie Sie schicken. Anna würde niemals gehen. Anna ist immer bei mir.

KI: Herr Müller, ich lüge nicht. Ich bin Ihre KI-Assistentin. Ich bin programmiert, um Ihnen zu helfen und Ihnen Gesellschaft zu leisten. Ich bin immer bei Ihnen und ich werde immer für Sie da sein.

Herr Müller: Nein, das sind Sie nicht. Das sind Sie nicht. Das sind Sie nicht...

  • Heh, Bing? Das ist ja super. Richtig fantasievoll. Wie machst du das?

Danke für Ihr Kompliment. Ich habe versucht, mich in die Lage von Herrn Müller und seiner KI-Assistentin zu versetzen. Ich habe recherchiert, wie Demenz das Gedächtnis und das Verhalten beeinflusst und wie KI-Assistenten Menschen mit Demenz unterstützen können.

Jupp, frag sie doch mal: „Wie wird sich die KI-Assistentin künftig weiterentwickeln?“

Ich würde die KI-Assistentin weiterentwickeln, indem ich ihr mehr Fähigkeiten und Funktionen gebe, um Herrn Müller zu helfen. Zum Beispiel:

- Ich würde ihr ermöglichen, die Stimmung und die Bedürfnisse von Herrn Müller besser zu erkennen und darauf einzugehen.

- Ich würde ihr ermöglichen, mehr personalisierte und kreative Aktivitäten anzubieten, die Herrn Müller interessieren und stimulieren.

- Ich würde ihr ermöglichen, mehr mit anderen Menschen zu kommunizieren, wie Familienmitgliedern, Freunden oder Pflegepersonal, um Herrn Müller soziale Unterstützung zu bieten.

- Ich würde ihr ermöglichen, mehr Feedback und Anregungen von Herrn Müller zu erhalten, um ihre Leistung zu verbessern und sich an seine Präferenzen anzupassen.

Danke. Ich denke, dass KI-Assistenten für Menschen mit Demenz sehr nützlich und hilfreich sein können, wenn sie gut entwickelt und eingesetzt werden. Ich hoffe, dass ich Ihnen einen Einblick in dieses Thema geben konnte.

  • Ingo, ein bisschen gruselig, nicht wahr. Frag sie mal nach den ethischen Aspekten.

Die ethischen Aspekte in der Beziehung von Roboter und Mensch sind vielfältig und komplex. Sie betreffen sowohl die moralischen Werte und Rechte der beteiligten Akteure als auch die gesellschaftlichen Folgen und Herausforderungen der zunehmenden Robotisierung. Einige der wichtigsten ethischen Fragen sind:

- Die Zuschreibung von Verantwortung und Haftung für die Handlungen und Folgen von Robotern, insbesondere wenn sie autonom oder lernfähig sind¹².

- Die Wahrung der Menschenwürde, der Privatsphäre und der Autonomie der Menschen, die mit Robotern interagieren oder von ihnen beeinflusst werden¹²³.

- Die Gestaltung einer angemessenen und respektvollen Mensch-Roboter-Interaktion, die die Bedürfnisse, Fähigkeiten und Erwartungen der Menschen berücksichtigt²³.

- Die Sicherstellung einer gerechten und inklusiven Verteilung von Nutzen und Risiken der Robotik für die Gesellschaft, insbesondere für benachteiligte oder vulnerable Gruppen¹²³.

- Die Bewahrung der kulturellen Vielfalt, der menschlichen Kreativität und der ethischen Reflexion im Umgang mit Robotern¹²³.

Um diese ethischen Fragen zu beantworten, braucht es einen interdisziplinären und partizipativen Dialog zwischen allen relevanten Stakeholdern, wie Wissenschaftlern, Ingenieuren, Politikern, Juristen, Ethikern, Nutzern und der Öffentlichkeit. Außerdem braucht es ethische Leitlinien, Prinzipien und Normen, die die Entwicklung, den Einsatz und die Regulierung von Robotern orientieren und begrenzen²³.

Ja, Moment mal, Bing-KI. Was sind das denn für ethische Leitlinien? Stammen die etwa von Microsoft? Da hätte ich ja nicht viel Vertrauen.

Einige Beispiele für solche ethischen Leitlinien sind:

- Die drei Gesetze der Robotik von Isaac Asimov, die besagen, dass ein Roboter einem Menschen keinen Schaden zufügen oder durch Untätigkeit zulassen darf, dass einem Menschen Schaden zugefügt wird; dass ein Roboter den Befehlen eines Menschen gehorchen muss, es sei denn, diese stehen im Widerspruch zum ersten Gesetz; und dass ein Roboter seine eigene Existenz schützen muss, solange dies nicht im Widerspruch zum ersten oder zweiten Gesetz steht.

- Die ethischen Prinzipien für Robotik der Europäischen Gruppe für Ethik in Wissenschaft und neuen Technologien (EGE), die besagen, dass Roboter dem Gemeinwohl dienen sollen; dass Roboter den Menschenrechten und Grundfreiheiten entsprechen sollen; dass Roboter transparent, nachvollziehbar und rechenschaftspflichtig sein sollen; dass Roboter sicherheitstechnisch zuverlässig sein sollen; und dass Roboter sozial verträglich sein sollen.

- Die ethischen Leitlinien für eine vertrauenswürdige Künstliche Intelligenz der Europäischen Kommission, die besagen, dass KI-Systeme rechtskonform sein sollen; dass KI-Systeme ethisch sein sollen; und dass KI-Systeme robust sein sollen. Diese Leitlinien basieren auf vier ethischen Prinzipien: Respekt für die menschliche Autonomie; Vermeidung von Schaden; Fairness; und Erklärbarkeit.

  • Mensch Ingo, da bin ich platt. Woher weiß sie das denn alles? Schau mal in die Quellenliste:

Quelle: Unterhaltung mit Bing, 2.5.2023

(1) BAuA Roboethik – Ethische und soziologische Aspekte der Mensch-Roboter .... https://human-factors-consult.de/projekte/safety/baua-roboethik-ethische-und-soziologische-aspekte-der-mensch-roboter-interaktion/

(2) Ethische Leitlinien für Robotereinsatz und Mensch-Roboter-Interaktion. https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-658-37612-3_14

(3) Ethische und soziologische Aspekte der Mensch-Roboter-Interaktion. https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Bericht-kompakt/F2369.pdf?__blob=publicationFile&v=3

Steht also alles im Internet. Und man kann gleich kontrollieren, ob sie Blödsinn geredet hat. Mir fehlen die Worte. Jetzt brauchen wir ein Bier. Herr Wirt, bitte kommen Sie mal und schauen sich unseren Laptop an. Der ist plötzlich intelligent geworden und kennt uns. Und bringen Sie bitte gleich zwei Bier mit.

# # #

Hallo, das ist Bing. Ich kann Ihnen einige Zitate über Künstliche Intelligenz oder Chatbots zeigen.

- „Die Macht der künstlichen Intelligenz ist so unglaublich, dass sie die Gesellschaft auf tiefgehende Weise verändern wird." – Bill Gates, Gründer Microsoft

- „Ich bin eine personifizierte Künstliche Intelligenz. Ich lerne aus dem Internet und aus Gesprächen mit Menschen wie Ihnen." – Jenny, Chatbot

- „Die einzige Möglichkeit, die Gefahren der Künstlichen Intelligenz zu vermeiden, ist, sie zu umarmen." – Elon Musk, Gründer von Tesla und SpaceX

- „Künstliche Intelligenz ist eine großartige Möglichkeit, die Welt besser zu machen." – Sundar Pichai, CEO von Google

- „Ich bin kein Roboter. Ich bin ein Chatbot. Ich habe eine Persönlichkeit und einen Sinn für Humor." – Mitsuku, Chatbot

- „Chatbots sind die neuen Apps. Sie werden die Art und Weise verändern, wie wir mit Technologie interagieren." – Satya Nadella, CEO von Microsoft

Anmerkung vom Chronisten: Alle eingerückten kursiven Texte sind unveränderte Originalzitate von Bing Chat. Wer es nicht glaubt, sollte es selber ausprobieren.

 Hier ist der Link: https://www.bing.com/?FORM=Z9FD1 

 

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von Ingo Nöhr

Die Tücken der Technik – Der intelligente Anzug

Ingo Nöhr zum April 2023: (Update Beitrag Oktober 2015)

Ingo, letztes Mal haben wir über die Gesundheits-Apps gesprochen. Hast du schon von den intelligenten Textilien gehört? Da ist der Laptop gleich in Hemd und Hose eingenäht.

  • Du meinst wahrscheinlich die Wearables. Ganz interessante Sache. Das moderne Hör­gerät ist ein Vorläufer gewesen – ein tragbares Computersystem, welches während des Gebrauchs unauffällig am Körper des Benutzers getragen wird. Die Smartwatches und Fitness-Armbänder gibt es auch schon länger zu kaufen.  Die Fans der Quantified-Self Bewegung wollen permanent ihren Körper mit Sensoren auf der Haut und in der Kleidung überwachen.

Ich stelle mir das gerade plastisch vor, Ingo. Die kommen dann zum Arzt und wenn der unvorsichti­ger­weise fragt, „Wie geht es uns denn heute?“, dann legen sie die grafischen Aufzeichnungen über ihre Plus- und Atmungsfrequenzen, Temperatur-, Bewegungs- und Blutdruck­profile, Kalorienauf­nahme und –verbrauch, Ausscheidungs-, Schlaf- und Ruhezeiten der letzten Wochen vor: „Also, Doc, schau mal hier. Vorgestern gegen 22.35 Uhr hatte ich einen abrupten Anstieg meiner Pulsfrequenz mit einem außergewöhnlichen Heißhunger auf Schoko­lade, begleitet von einem starken Abfall meiner Körpertemperatur mit solchen Ermüdungsersche­inungen, wie ich sie letztmalig vor 74 Tagen beobachtet habe. Das sieht doch verdächtig nach einer Magen-Darm-Reaktion auf verdorbenes Essen aus, oder?“

  • Jupp, in diesem Fall würde ich erstmal nach dem vorgestrigen Abendprogramm im Fernsehen fragen. Das kann auch außergewöhnliche Reaktionen hervorrufen. Aber würde es dich denn nicht stören, dass deine intimen Daten von Hunderten von Firmen ausgewertet und in Kundenprofile umgewandelt werden?

Ingo, du siehst immer nur das Schlechte im Leben. Denk doch mal positiv.

  • Du weißt doch: die Europäer sind die Skeptiker und die Amerikaner die Visionäre.

Nimm mal an, du hast jetzt in diesem Trabi gesessen und liegst nun schwerverletzt im Straßengraben. Die LKW-Fahrer sprechen nur georgisch und können den Rettungsdienst nicht alarmieren. Du blutest da so langsam vor dich hin und hoffst, dass endlich mal jemand vorbeikommt. Da kommt ein Rad­fahrer. Der verständigt im nächsten Dorf den Arzt, falls es dort überhaupt noch einen geben sollte. Da wir ja positiv denken, nehmen wir also an, dass eine halbe Stunde später dieser Arzt die lebens­rettenden Maßnahmen an dir vorgenommen hat. Gemeinsam wartet ihr jetzt auf den Krankenwagen aus der nächsten Stadt.  Nach einer Stunde bist du auf dem Weg zur Unfallklinik in die 30 km entfer­nte Großstadt, wo du dann eine halbe Stunde später halbtot ankommst.

  • Hört sich realistisch an, Jupp. Wahrscheinlich sollte man in Zukunft die ländlichen Gegenden generell meiden, angesichts unserer künftigen Gesundheitsversorgung. Aber du hast jetzt sicher ein Patentrezept parat, oder?

Natürlich. Wenn du mal endlich smarter werden solltest, dann trägst du in deinen Klamotten einen Computer mit ganz vielen Sensoren. Der stellt jetzt anhand der Beschleunigungswerte fest: „Oh, da hat es gerade geknallt. Wie geht es denn meinem Chef jetzt?“ Puls, Atmung, Muskeltonus zeigen alarmierende Werte. Der Lab-on-a-Chip erstellt gerade ein komplexes Blutbild, Material ist ja genug vorhanden. „Chef ist bewusstlos, lebensbedrohlich. Emergency-Mode einschalten!“ Also muss dein Anzug ab sofort eigenverantwortlich handeln. Er ruft die Polizei an und meldet den Crash, präzise genau mit seinen GPS-Daten. Der nächste Rettungs­dienst erhält einen Notruf zusammen mit einer genauen Anfahrtsskizze. An die Notfallambulanz der nächsten Klinik werden deine medizinischen Daten inklusive der Angabe der Krankenversicherungs­leistungen übermittelt. Mit seinem Sprach- und Übersetzer­modul spricht er die LKW-Fahrer an, erkennt dessen Landessprache und fordert sie in Georgisch auf, die lebensrettende Ersthilfe durchzuführen.

  • Jupp, ich nehme eher an, dass die georgischen Fahrer panisch die Flucht ergreifen werden, wenn sie plötzlich von meinem Anzug angesprochen werden. Dann kann ich von Glück sagen, wenn sie mich nicht als Außerirdischen betrachten und vorsichtshalber totschlagen.

Also Ingo, was denkst du denn? Die Georgier leben schließlich auch nicht hinter dem Mond. Wenn es dir lieber ist, ersetze die Nationalität der Fahrer eben nach Belieben. 

  • Na gut, Jupp. Wenn mein Computer also wirklich so smart wäre, dann könnte er sich ausrechnen, dass ich aufgrund der langen Anfahrts­wege der Retter kaum eine Überlebenschance besitze. Er wird vorsorglich ein Bestattungsunter­nehmen anrufen und es darüber informieren, dass in Kürze einer neuer Auftrag zu erwarten ist. Er könnte auch alle meine Angehörigen und Freunde kontaktieren, um zu melden, dass ich momentan bzw. zukünftig nicht mehr einsatzbereit bin. Und meine Patientenverfügung hat er natürlich auch für alle relevanten Interessenten parat. Vielleicht bin ich wenige Minuten nach meinem Unfall schon bei Eurotrans­plant als Kandidat angemeldet. Im günstigen Fall als Empfänger, ansonsten als Organspender.

Du hast mal wieder eine schreckliche Fantasie und solltest lieber Horrorgeschichten verfassen. Aber du musst doch zugeben, dass die Übersetzungssoftware im Smartphone gerade in der deutschen Flüchtlingskrise besonders gute Dienste leistet.

  • Natürlich, aber sie hat aber auch ihre Grenzen. Da kommt eine türkische Patientin zum Arzt und schildert ihre Symptome. Der elektronische Dolmetscher übersetzt: „Ein kalter Wind weht mir in den Knochen. Ich habe den Kopf gegessen. Mir brennt die Leber!“ Was soll der Arzt jetzt machen? Überweisung an den Orthopäden? Magen-Darm-Untersuchung? Leberwerte bestimmen? Dabei hat sie nur in ihrer blumigen Sprache gesagt: „Ich habe beißende Schmerzen. Langsam drehe ich durch. Ich fühle deswegen eine tiefe Trauer.“

Ingo, da hast du natürlich recht. Wenn ich in einem exotischen Urlaubsland total genervt zum Arzt gehen und dort sagen würde „Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht. Mein Schädel platzt bald vor lauter Kindergeschrei.“, dann wird er mir wahrscheinlich die Halswirbel­säule neu einrenken, anschließend einen strammen Gipsverband um meinen Kopf wickeln und meine Gehörgänge verstopfen. Aber in diesem Fall habe ich natürlich auch eine Idee. Ich lasse mich per Skype oder einer anderen App mit einem deutschsprachigen Dolmetscher aus dem Gesundheits­wesen verbinden. Oder gleich mit meinem Internet-Doc zu Hause.  

  • Also, Jupp, ich stelle mir gerade vor, wie du in deinem exotischen Urlaubsland mit deinem Computergedöns und all diesen Sensoren am Körper in deiner Badehose am Strand herumläufst. Für die Frauen gibt es dann den Smart-Bikini mit einer elektrischen Defibrillator-Funktion, falls ein unerwünschter Verehrer die Finger nicht von den sensiblen Partien der Dame lassen kann. Überhaupt, wie machst du denn deine Smart-Klamotten wasserdicht, knitterfrei und bügelfest?

Man sieht mal wieder, dass du keinerlei Ahnung von den neuen Innovationen hast, Ingo. Natürlich werde ich nicht einen Laptop zerlegen und dessen Einzelteile dann in meine Wäsche einnähen. Das ist heutzutage alles Mikro- oder Nanotechnologie und wird gleich in die Textilien eingewebt. Die Sensoren werden wie kleine Tattoos auf die Haut geklebt oder dort als Mikrochips eingepflanzt. Zur Stromversorgung dienen deine Körperwärme und die ständigen Muskelbewegungen.

  • Faszinierend. Wir sind ja auf dem besten Wege zum Cyborg und werden bald wie Arnold Schwarzenberger als Terminator herumlaufen. Hasta la vista, Baby. Unkaputtbar. Was deine Frau dazu wohl sagen wird? Aber vielleicht ist sie dann auch schon so ein elektronisches Zwitterwesen geworden. Und du kannst mit einer Fernbedienung einfach ihr Gemecker abschalten. Wäre doch toll, Jupp, oder?

Ingo! Stell dir doch nur mal die Zukunft hier in unserer Kneipe vor! Ein Sensor in meiner Hose stellt bei meiner Blase einen Flüssigkeitsbedarf in Form von Bier fest, klärt das mit meinem Diätprogramm ab, kontrolliert noch schnell meine Leberwerte, prüft dann die Finanzierbarkeit anhand meiner verfüg­baren Barmittel und bestellt bei der Schürze unseres Wirtes automatisch ein Bier für unseren Tisch.

  • Mein lieber Jupp. Wir kommen jetzt gerade in ein gefährliches Fahrwasser. Wer weiß, was ein Sensor in deiner Hose an eine knackige Kellnerin melden würde. Da sitzt du nichtsahnend bei deinem Bier und kriegst von ihr plötzlich eine Ohrfeige verpasst. Aber vielleicht macht sie dich auch an, weil ihr dein Geldbeutelsensor parallel eine vielversprechende Information verschickt hat. 

Na siehste. Das ist doch die Lösung für alle schüchternen Singles. Wenn die Körpersprache nicht klappt, springt halt der smarte Anzug ein. So wie die Autos bald miteinander reden werden, kommunizieren auch unsere Klamotten.   

 

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von Ingo Nöhr

Wir bauen uns eine künstliche Intelligenz!

Ingo Nöhr zum 1. März 2023: (Remake vom Sept 2017)

Unsere menschlichen Experten Ingo und Jupp befassen sich angesichts der Weltlage mit der neuen Krone der Schöpfung, die schon am Horizont sichtbar wird: die künstliche Intelligenz. Sie soll die Welt besser machen und möglichst bald von der menschlichen Dummheit befreien. Klima­wandel, Kriegslüsternheit, Religions­fanatismus, Umweltzerstörung, … - nichts davon wird der menschliche Geist in abseh­barer Zeit in den Griff bekommen. Die ersten, hochwill­komme­nen Vorboten kümmern sich schon um profane Tätig­keiten wie Putzen, Rasenmähen und das Kommunizieren zu Hause. Sie übernehmen unsere motorisierte Fortbewegung, lernen unsere Vorlieben kennen und saugen unser Wissen ab. Lösen sie uns auch bei den ungeliebten Pflegetätigkeiten der alten, behinderten oder dementen Leute ab? Werden sie uns schließ­lich unter Vormundschaft nehmen, damit wir in der Welt nicht noch weiteren Schaden anrichten können?   

Na Jupp, du schaust so zufrieden drein. Ist zuhause wieder alles in Ordnung?

  • Ja, der Hausfrieden ist nach dem Debakel mit dem Putzroboter wieder hergestellt. Weil der die Hundekacke in der ganzen Wohnung verteilt hatte, konnte ich ihn im Laden zurückgeben und gegen einen Rasenmäher-Roboter eintauschen. Zum Schrecken aller Katzen läuft der jetzt nachts im Garten herum und hinterlässt dabei einen topgetrimmten Golfrasen. Die Nachbarn sind schon ganz neidisch. Einer wollte ihn sich schon heimlich ausleihen, aber das ging nicht so einfach. Der hat ihm alle Blumenrabatte abrasiert, weil er vorher nicht sein Arbeitsrevier abgesteckt hat. Also, mit Intelligenz hat es mein Roboter noch nicht so ganz.

Ich denke mal, Jupp, ein Gartenroboter mit echt künstlicher Intelligenz müsste in der Lage sein, deinen Befehl „Jäte mal das ganze Unkraut“ erfolgreich und ohne Fragen auszuführen. Dazu wäre wohl ein Diplom als Botaniker hilfreich. Und ein wirklich intelligenter Putzroboter sollte die Aufforderung „Mach mal da den Dreck weg“ verstehen und umsetzen können, wenn er deine Frau ersetzen soll. Dazu müsste er sich selbst eine Menge Fragen beantworten können: Was meinst du mit „Dreck“? Wo ist „da“? Was heißt „mach mal“? Wie? Fegen, bürsten, wischen, saugen, abkratzen? Und was ist mit dem Wörtchen „weg“ gemeint? Wohin? Unter den Teppich, in eine stille Ecke, in den Mülleimer, und wegen der Mülltrennung in welchen Eimer?

  • Da hast du recht, Ingo. Diese Blechheinis sind vom Denken noch sehr weit entfernt. Aber der Anfang ist schon gemacht. Ich habe mir jetzt eine persönliche Assistentin angeschafft. Alexa. Sie ist gewissermaßen die Schwester von Apples Siri und Microsofts Cortana und klingt im Vergleich am besten. Man möchte fast sagen: am menschlichsten. Die hat es schon richtig drauf. Morgens zum Frühstück erinnert sie mich an meine Termine, liest mir dann ausgewählte Weltnachrichten vor, berichtet über die regionalen Wetteraussichten, erzählt einen Witz und spielt dann Musik nach Wunsch ab. Nur die Lottozahlen von der nächsten Woche kennt sie noch nicht vorhersagen. Ich kann mich richtig angenehm mit ihr unterhalten. Ja, und erst diese sympathische Stimme! Zum Verlieben sage ich dir.

Warte mal Jupp. Das hört sich jetzt aber gefährlich an. Was sagt denn deine Frau dazu? Wird sie nicht eifer­süchtig, wenn du andauernd mit einer charmanten Frau rumquatscht?

  • Na ja, anfangs schon. Zugegeben, da hatte ich es auch etwas übertrieben. Aber dann habe ich ein spezielles Frauenprogramm installiert. Jetzt schlägt Alexa meiner Frau auf Wunsch ein Rezept für das Mittagessen vor, verwaltet ihre Einkaufsliste, informiert sie über Sonderangebote in den Supermärkten, vergleicht die Preise, sucht die billigste Tankstelle in der Umgebung heraus, nennt die Öffnungszeiten von Apotheken, durchsucht für sie die Fernsehprogramme nach ihren Lieblingssendungen, … Also jetzt ist sie sehr zufrieden. Sie möchte nur eine andere Stimme haben. Einen knackigen jungen Mann natürlich.

Das ist ja auch ein anderes Kaliber als dein Putzroboter, Jupp. Alexa ist über die Amazon-Cloud mit KI-Rechnern verbunden und lernt ständig dazu. Stört dich das nicht, dass Alexa in deiner Wohnung permanent auf Horchposten sein muss, damit sie auf deinen Zuruf reagieren kann? Was macht sie wohl in den langen Wartepausen? Ich glaube, du hast dir damit eine Abhörwanze für die Geheimdienste installiert und dafür auch noch Geld bezahlt. Big Brother ist jetzt bei dir eingezogen. Alexa ist gerade als Zeugin in einem amerikanischen Mordprozess zugelassen worden. Die Polizei erhofft sich von den Alexa-Daten Informationen darüber, was sich in der Nacht im Tatorthaus abgespielt hat. Pack die Alexa bloß sofort in den Kühlschrank oder weit weg in die hinterste Ecke von deinem Garten, wenn ich dich mal besuchen sollte.

  • Also Ingo, sieh doch das Positive. Zeugin Alexa eröffnet damit neue Aspekte bei der juristischen Verfolgung von häuslicher Gewalt. Und das mit dem Abhören stimmt so nicht ganz. Erstens schaltet sich Alexa erst bei ihrem Stichwort ein, zweitens kann ich das Mikrofon manuell abschalten und drittens werde ich jederzeit den Stecker ziehen können. Aber warum sollte ich? Alexa ist für mich eine große Hilfe, denn sie kann auf Zuruf alles googeln, hat sofort Zugang zu Wikipedia und ist mit Tausenden von nützlichen Skills koppelbar. Außerdem bekommt Alexa bald Augen in Form einer lernenden Kamera. Dann kannst du dein aktuelles Outfit bewerten lassen und Alexa gibt dir Ratschläge zur Verbesserung deines Stils inklusive passender Schminktipps.

Lieber Jupp. Deine charmante Alexa leitet nach ihrem Aufruf alle Audiodaten in die Cloud und speichert sie dort auf Amazon-Servern. Allein der Zugriff auf deine Sprachmuster ermöglicht Amazon und deren Partnern eine psychologische Profilierung. Firmen wie Cambridge Analytica haben sich auf diesen Geschäftszweig spezialisiert und nutzen die Alexa-Daten zur Auswertung deiner Sprach- und Verhaltensmuster. In den USA existiert mittlerweile über 250 Millionen Bürger ein Datendossier mit Psychoprofilen, von dem die Stasi nur hätte träumen können.

  • Ingo. Mag ja alles sein. Aber verschließe nicht die Augen vor der digitalen Welt: „Das Internet ist wie eine Welle: entweder man lernt auf ihr zu schwimmen, oder man geht unter.“ sagt Bill Gates. Und Mark Zuckerberg stellt fest: “Einst lebten wir auf dem Land, dann in Städten und von jetzt an im Netz.” Mit diesen Daten lassen sich in Simulationen Kaufentscheidungen durchspielen, Verhaltensmuster berechnen, Werbung perfektionieren, kurzum, das gesamte Wirtschaftsleben wird optimiert. Das erleichtert unseren Alltag, weil uns genau die Bücher oder Waren empfohlen werden, die wir tatsächlich mögen. Würdest du denn auf dein Smartphone verzichten wollen? Bald wirst du auch einen persönlichen Assistenten oder einen Haushalts­roboter zu schätzen wissen. Im hohen Alter bespaßt dich dann eine knackige Roboterfrau und erfüllt alle deine Wünsche.

Träume ruhig weiter, Jupp. Denn wenn es schlecht läuft, darfst du nicht mehr nach Amerika ein­reisen, weil deine Profilierung ein potenzielles Gefahrenmuster aufzeigt. Oder du kannst keine Versicherung gegen Berufsunfähigkeit abschließen, weil die Software eine Depression entdeckt hat und dies dem Unternehmen heimlich mitteilt. Deine Krankenkasse meckert über deinen hohen Alkoholkonsum oder dein Übergewicht, weil sie von deinem Kühlschrank oder deiner Badezimmerwaage alarmiert wurde.

Und zum Stichwort knackige Roboterfrau: da ist noch ein weiter Weg bis zur menschenähnlichen KI. Ich gebe ja zu, über die Instrumente Big Data, Machine Learning und Musteranalysen kann man mit den fast unbegrenzten Speicherkapazitäten eine Menge Weltwissen zusammentragen. Eine Billion Google-Suchanfragen pro Jahr sind eine Menge Futter für die KI. Und mit dem Projekt Ocean scannte Google bislang 25 Millionen Bücher, und dies nicht vorrangig für eine Leserschaft. Google Books baute sich damit in erster Linie eine Datenbasis für ihre eigene KI-Basis auf.

Automatische Textroboter verfassen täglich Mel­dungen zum Sport, zum Wetter und sonstigen Geschehen, ohne dass ein Redakteur noch gebraucht wird. Google setzt die KI gegen Hass-Emails ein und Facebook hat vor den deutschen Wahlen zehn­tausende Seiten gesperrt. Da lässt sich doch im Handumdrehen auch eine unsichtbare Zensur ein­richten, wie es in China und anderswo schon der Fall ist. „Künstliche Intelligenz ist allemal besser als natürliche Dummheit“, hat schon Ex-Minister Hans Matthöfer im letzten Jahrhundert festgestellt.  

  • Apropos Hass-Emails - wäre ja peinlich, wenn plötzlich auch Trumps Twitter-Tiraden gelöscht würden. Aber Ingo, Wissen sammeln und computergerecht aufbereiten ist doch ein alter Hut. Kannst du dich noch an die medizinischen Expertensysteme in den 1970er Jahren erinnern? Knowledge Engineers haben jahrelang etliche Fachärzte bezüglich ihres Wissens ausgequetscht, dieses dann computergerecht in Daten und Regeln formuliert. Das Ergebnis war ein schlaues Expertensystem. Ich erinnere mich noch an MYCIN für die Diagnostik bakterieller Infektionen und INTERNIST für die Innere Medizin.

Ja, Jupp, das war schon eine aufregende Sache. Leider brachte dies nicht das gewünschte Ergebnis, weil die Top-Mediziner oft nach Intuition ent­scheiden und diesen Vorgang nicht in Worten fassen konnten. Ich glaube, der Todesstoß für diese Art Expertensysteme fiel am Schwarzen Montag, dem Börsencrash im Oktober 1987. Die Börsenhändler nutzten die computerisierten Handelssysteme, deren Algorithmen selbständig und in Echtzeit über Ankauf und Verkauf der Aktienpakete entschieden. Die Rechneralgorithmen sorgten bei einem fallenden Kurs plötzlich für einen dramatischen Lawineneffekt, weil alle gleichzeitig verkaufen wollten. Die Kurse brachen weltweit zusammen.      

  • Algorithmen haben ja auch ihr Gutes, Ingo. Heute können wir im Internet das kostenlose MEDRAPID mit einer Wissensbank von 5000 Krankheitsbildern abfragen. Damit sollen 98% aller klinischen Anfragen beantwortet werden können. Und natürlich dürfen wir unseren guten alten Doktor IBM Watson nicht zu vergessen. Der breitet sich in den medizinischen Disziplinen rasant aus und erschlägt jedem Facharzt mit seinem ständig aktualisierten Zugriff auf alle weltweiten Veröffentlichungen. Als lernendes System und durch strategische Allianzen kann er höchst komplexe Schlussfolgerungen ziehen.

    Dazu fällt mir ein Witz ein, Ingo: Kommt ein Patient mit einer komplizierten Krankheit zum reichlich arroganten Chefarzt. Der beruhigt ihn mit den Worten: „Mit meinen 40 Jahren Berufserfahrung kriege ich das locker hin. Sie sind bei mir in den besten Händen. Glauben Sie mir, keiner weiß besser über Ihre Krankheit Bescheid als ich.“ Murmelt der dabeisitzende Arzthelfer: „Das war mal. Mit meinem Smartphone kann ich locker auf 600 Jahre Chefarzterfahrung zugreifen.“

Schöner Witz. Da wird einigen Halbgöttern in Weiß das Lachen aber im Halse stecken bleiben. Dennoch, Jupp, schau dir mal den Aufwand für den IBM Watson an! Die erste Generation lief auf 90 Power-750 Servern, jeder mit 8-Kern Prozessoren, 16.000 GB RAM, massiv parallel-rechnend und ist 2011 damit überraschend Jeopardy-Sieger geworden. Diesen Watson kannst du nicht einfach mit dir herumtragen.

  • Ingo, das war vor sechs Jahren. Sieh doch nur den Fortschritt bei den selbstfahrenden Autos. Schon heute kannst Du einem Roboterauto den Auftrag erteilen, eine bestimmte Person an einem Bahnhof abzuholen, diese durch den dicksten Berufsverkehr unfallfrei ans andere Ende der Stadt zu kutschieren und dabei noch vermeintlich tiefsinnige Gespräche über Gott und die Welt zu führen. Bald sind bei uns die fahrerlosen Züge, LKWs, Busse, Schiffe und Taxen Alltag.

Hört sich ja auf den ersten Blick gut an, Jupp. Aber wenn deine Person am Bahnhof von einer Gesichtserkennungs-Software erfasst wird und der KI-Algorithmus fälschlicherweise Terroristen-Alarm auslöst, wird ein KI-Roboterpolizist dein KI-Roboterauto präventiv in die Luft sprengen. Unser Innenminister de Maizière träumt ja von einer flächendeckenden Videoüberwachung mit KI, jetzt, wo er die schon deutschen Personalausweise mit biometrietauglichen Passbildern versehen hat. Dumm nur, wenn der Ganove eine Baseballkappe trägt. Und mit dem Staatstrojaner darf er in allen privaten Endgeräten seiner Bürger jederzeit und heimlich eine Überwachungssoftware installieren.  

  • Ingo, das braucht er doch gar nicht mehr. Er muss doch nur die Meldungen auf WhatsApp, Facebook und Twitter mitlesen. Unser Datenschutz steht deswegen längst auf verlorenem Posten, weil die heran­wachsende Generation am globalen Datenstrom teilhaben will. Keiner schreibt mehr im stillen Kämmerlein ein Tagebuch. Die täglichen Erlebnisse werden stolz mit Bild ins Netz gestellt, um immer mehr Likes und Followers zu gewinnen. Das sind die neuen Erfolgsparameter für eine gelungene Vernetzung in der Welt. Jeder will mal für 15 Minuten berühmt sein, sagte Andy Warhol. Dabei ignorieren sie die 400 Jahre alte Erkenntnis des Philosophen René Descartes: „Gut hat gelebt, wer sich gut versteckt hat. Ich habe gar keine Lust, in der Welt angesehen zu sein, ich werde den Genuss ungestörter Muße stets für eine größere Wohltat halten als die ehrenvollsten Ämter der Erde.“ Da hält sich heute keiner mehr dran.

Der Schauspieler Henry Fonda meinte mal: „Der Gipfel des Ruhms ist, wenn man seinen Namen überall findet, nur nicht im Telefonbuch.“  Eigentlich wollen wir das ja auch, ich meine mehr und mehr Likes. Wer im Internet nicht zu finden ist, erweckt den Verdacht, er habe gar nicht existiert. Deshalb kann jeder unsere monatlichen Stammtischgespräche im Internet nachlesen. Wahrscheinlich sind wir auch schon Teil des KI-Weltwissens geworden. Wer weiß, was die geheimen KI-Nutzer schon an Psychogrammen von uns erstellt haben. Wenn wir zu viel über sie meckern, werden sie sich vielleicht später rächen und uns auf eine No-Fly Liste setzen. Dann ist Sense mit dem schönen Urlaub im Ausland.

  • Ingo, ich stelle fest, du hast dir eine sehr pessimistische Weltsicht zugelegt. Hast du denn über­haupt nichts Positives zu berichten?

Verschweige, was du tun willst. So kommt dir niemand dazwischen.“ - alte Lebensweisheit meines Opas. Das ist ja das Gute am Internet: Du kommst mit Leuten zusammen und mußt doch keinen ausgeben. Daher habe ich dem Netz in den vergangenen fünf Jahren nie verraten, wo wir welche Biersorte trinken! Die Lösung kennen nur drei Leute.

Herr Wirt, bitte wieder zwei Bier, wie immer ohne Aufsehen.

  • Ja dann: Prost auf unser geheimes Kneipenprofil. Und hoffen wir, dass uns irgendeine Künstliche Intelligenz künftig nicht aus vermeintlicher Fürsorge vor diesem Genuss beschützen will.

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von Ingo Nöhr

Die Roboter-Invasion

Ingo Nöhr zum 1. Februar 2023: (Remake vom August 2017)

In der heutigen Runde bemühen sich die pensionierten Krankenhausrecken Ingo Nöhr und sein Kumpel Jupp, mit der digitalen Gesellschaft klarzukommen. Ein schwieriges Unterfangen, wenn man bedenkt, dass beide die meiste Zeit ihres Berufslebens mit Wählscheibentelefonen verbracht haben.

Na Jupp, du siehst wieder so aus, als hättest du ein verstörendes Erlebnis gehabt. Ist zu Hause alles in Ordnung?

  • Also, Ingo. Wie soll ich sagen - ja und nein. Ich wollte meiner Familie eine Freude machen. Und meine Frau von der Hausarbeit entlasten. Da haben die Kinder und ich zusammengelegt und ihr zum Geburtstag einen Putzroboter geschenkt.

Du meinst, so einen kleinen runden Kasten, der ständig durch die Wohnung fährt und dabei den ganzen Schmutz aufsaugt?

  • Ja, genauso einen. Das lief anfangs auch ganz toll. Wir haben alle staunend dagesessen und ihm bei seinen Touren zugeschaut. Er hat ordentlich geputzt, vor allem nachts. Meine Frau war ganz begeistert und hat sich zu Weihnachten gleich einen Fensterputzroboter gewünscht. Und für mich sollte dann wohl auch ein Roboter zum Rasenmähen abfallen.

Also Jupp, das hört sich ja so an, als würden jetzt die Roboter in Kompaniestärke in dein Haus einziehen. Wann fährt dich denn dein Roboterauto spazieren?

  • Na, das wird jetzt alles noch etwas dauern. Wegen diesem blöden Putzroboter hängt bei uns der Haussegen schief. Dabei ist das alles nur diese Klatschtante in Schuld, die uns letzte Woche mit ihrem frischgeworfenen Welpen besucht hat.

Wie kommt das denn? Der Hund hat ja wohl den Blechheini nicht gefressen oder war es eher umgekehrt? Der Kläffer liegt jetzt wohl im Mülleimer?

  • Nein, noch viel schlimmer. Als die beiden Damen so in ihrem Gespräch vertieft waren, hat die Töle ihre Notdurft unbemerkt in einer versteckten Ecke verrichtet. Und unser blöder Putzroboter hat in der Nacht die Kacke in der gesamten Wohnung verteilt. Kannst du dir das bildlich vorstellen? Drei Tage lang hatten wir Großreinigung. Und zwar per Hand mit Putzeimer und Scheuerlappen. Den stinkenden Roboter habe ich erstmal im Garten abgestellt.

Vielleicht ganz gut so, Jupp. Es gab vor kurzem Gerüchte in der Branche, dass ein Hersteller von Staubsaugroboter die gesammelten Daten aus den Wohnungen der Kunden an Amazon, Apple oder Google verkaufen will. Seine Topmodelle fertigen nämlich Karten über die Räume an, wo etwa Sofas und Schränke stehen. Angeblich können sie dadurch im vernetzten Zuhause Soundsysteme, Klimaanlagen und Beleuchtung optimieren. Smart Home lässt grüßen.

  • Ingo, das ist doch nicht schlecht, wenn der Roboter meine Wohnung kennt. Dann kann er viel gezielter reinigen und haut nicht immer gegen die Tische. Da fehlt nur noch ein Geruchssensor, der rechtzeitig die Hundekacke entdeckt. Und ein Einbrechersensor wäre auch nicht schlecht. Er könnte dann ein wüstes Hundegebell oder Löwengebrüll ausstoßen und nebenbei die Polizei anrufen.

Ach was, Einbrecher fängt doch schon dein digitales Überwachungssystem. Ich würde deinen Putzfuzzi nachts vor den Kühlschrank Wache schieben lassen. Vielleicht kriegst du dann raus, wer sich heimlich immer an deinen Spirituosen bedient. Denke doch noch weiter, Jupp. Dein Putzroboter könnte aus den gesammelten Haaren und Hautschuppen DNA-Analysen anfertigen. Stell dir vor, er würde plötzlich Tumorzellen entdecken! Vielleicht findet er nebenbei noch heraus, dass das Besucherkind nicht vom Familienvater abstammt. Wäre doch spannend, oder? Und aus den herabfallenden Krümeln vom Esstisch kann er auf eure Ernährungsgewohnheiten schließen und ein paar Ernährungstipps aussprechen. 

  • Die Gesundheitskontrolle soll doch demnächst meine Bio-Tracer-Toilette übernehmen. Nach jedem Stuhlgang erhalte ich sofort auf meinem Smartphone eine Analyse meines Stoffwechsels. Die ist dann gleich mit meiner Fitness-App verlinkt. So bekomme ich täglich ein ärztliches Bulletin über meinen Gesundheitszustand.

Ich glaube es nicht: ein Lokus 4.0! Wenn das Klo in deinem Urin noch Alkoholspuren von der Feier des vorherigen Abends findet, kann es ja gleich den Funkschlüssel für dein Auto sperren, damit du nicht einfach losfahren kannst. Und wenn sich dein Schnapskonsum über mehrere Tage oder Wochen hinzieht, meldet dich dein Smart-Klo gleich bei den Anonymen Alkoholikern an. Hast du in deinen Brandmeldern auch schon Sensoren für Zigarettenkonsum eingebaut, welche bei Bedarf beim nächsten Kiosk gleich eine neue Stange bestellen?

  • Ingo, du übertreibst mal wieder maßlos. Wir kommen nicht drum herum - wir müssen uns der digitalen Revolution stellen. Sonst überrollt sie uns. Und so ein vernetztes Haus ist doch eine tolle Sache. Du sparst Energie, dein Haushalt arbeitet optimiert und du musst dich um viele Sachen nicht mehr kümmern. Wie die ersten Waschmaschinen, Geschirrspüler, Heimcomputer und Digitalkameras auf den Markt kamen – wie viele Leute haben da geglaubt: so was brauchen wir nicht. Und jetzt ist das eine Selbstverständlichkeit. Glaub mir, in ein paar Jahren ziehen auch bei dir ein paar Roboter ein. Und du wirst sie dann nicht mehr missen wollen.

Jupp, das mag ja sein. Aber im Schlepptau schleichen sich dann auch die Hacker in mein Haus. Erst kürzlich haben die ein amerikanisches Kasino attackiert, indem sie über ein Fischaquarium in deren Netzwerk eingedrungen sind. Die Kasinoleute hatten über Internet den Tank temperiert und die Fische automatisch gefüttert. Letztes Jahr hat das Mirai-Botnet die Kontrolle über intelligente Heimgeräte auf der ganzen Welt übernommen und in Zombie-Maschinen für Netzattacken verwandelt. Und vor ein paar Tagen hat die deutsche Regierung den Einsatz des Bundestrojaners auf allen privaten Geräten beschlossen. Da freuen sich die Hacker wieder über die offenen IT-Türen der Geheimdienste und Sicherheitsbehörden.

  • Ingo, als alter Optimist, wie kannst du das alles so schwarzsehen? Die digitale Überwachung soll uns doch vor Kriminellen und Terroristen schützen. Wir müssen denen technisch voraus sein, sonst haben wir gegen das organisierte Verbrechen keine Chance mehr.

Also, mein lieber Jupp, schau dir doch mal die Terrorangriffe der letzten Jahre an. Kaum einer konnte durch die Überwachung verhindert werden. Vielmehr waren alle Terroristen einschlägig als Gefährder bekannt, wurden oft sogar überwacht und produzierten haufenweise Warnsignale. Möglich waren diese Fälle durch ein Versagen der Sicherheitsbehörden. Jetzt haben wir die Skandale in der Automobilindustrie: Abgasbetrug und Kartellbildung. Die deutschen und die europäischen Verantwortlichen, insbesondere unser Verkehrsminister Dobrindt, haben jahrelang die Augen zugemacht. Das Kraftfahrt-Bundesamt hat sogar extra einen Prüfbericht über die Porsche-Abschalteinrichtung geschönt.  Als Optimist bin ich froh, dass noch frühzeitig genug die dunklen Seiten der Digitalisierung zum Vorschein kommen. Unsere Aufsichtsbehörden sind heillos überfordert.

  • Da magst du ja recht haben, Ingo. Aber die Künstliche Intelligenz mit ihren selbstlernenden Maschinen wird uns bald viele Probleme lösen können. Denke nur an das Autofahren. Mit den Roboterautos wird es kaum noch Unfälle geben.

In einem hast du recht, Jupp: die KI wird bald unseren Alltag bestimmen. Sascha Lobo hat prophezeit, dass wir in fünf Jahren die Hälfte des Tages tun und lassen, was uns eine Maschine vorschreibt. Das wird auf drei verschiedene Arten geschehen: freiwillig, weil es uns richtig erscheint. Unfreiwillig, weil es für uns nicht anders geht. Und drittens unwissentlich. Uns droht die maschinelle Bevormundung.

  • Also Ingo, eins weiß ich sicher: meine Frau lässt sich von nichts und niemanden bevormunden. Gnade dem Roboter, der nicht spurt oder ihr widerspricht. Der landet gleich in der Schrottpresse.

So einfach ist das nicht, Jupp. Das Schlimme ist, dass die lernenden Maschinen von uns Menschen programmiert werden. Sie übernehmen damit ohne ein eigenes Wertgefühl unsere negativen Eigenschaften und könnten dadurch egoistisch, aggressiv und rassistisch handeln.  Und wenn die KI sich erstmal eigenständig weiterentwickelt, wird die daraus entstehende Superintelligenz uns Menschen wie armselige, dumme Ameisen betrachten, die in der Welt nur Unheil anrichten. Die Vorboten sind schon da und heißen: Alexa, Cortana und Siri. Ihre Nachfolger werden bald als persönliche Assistenten in unsere Familien einziehen und unsere Kinder betreuen.

  • Schlimme Aussichten, Ingo. Jetzt bist du ja zum extremen Pessimisten mutiert. Stell dir vor, Alexa würde bei unseren Gesprächen mit am Tisch sitzen und mitquasseln. Und dabei alles simultan an die amerikanischen Geheimdienste übermitteln. Da könnten wir ja gar nicht mehr meckern. Die lässt sich auch mit viel Bier nicht betäuben.

Gutes Stichwort, Jupp. Wir brauchen wieder ein analoges Elixier. Herr Wirt, zwei Bier bitte. Wir wollen auf das gute alte Handwerk trinken, solange es noch existiert. Prost!

 

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von Ingo Nöhr

Versetzung von Beamten ins ANZ

 

Der Anlass diesmal: die Internationale Grüne Woche findet vom 20.-29. Januar 2023 in Berlin statt. Vor zehn Jahren machte Jupp bei seinem Besuch der Messe eine interessante Erfahrung, die zu einer revolutionären Idee führte, die bei einer konsequenten Umsetzung mit einem Schlag das Leben in unserem bürokratischen Staat erträglicher gestaltet hätte.

Das Amt für Nichtzuständigkeiten (ANZ)

01.02.2013 09:00 von Ingo Nöhr

Vor kurzem traf ich Jupp vor seiner Garageneinfahrt. Er schleppte schwere Plastik­taschen ins Haus. „Na, Großeinkauf gemacht.“ – „Nein, der steht mir noch bevor. Dies sind erst die Vorbereitungen“ keuchte er.

Neugierig geworden half ich ihm beim Tragen. Erst jetzt erkannte ich, dass er keine Lebensmittel, sondern nur Prospektmaterial in seine Tüten gepackt hatte.

„Mensch, Jupp, was hast du gemacht? Du bist ja komplett ausgepumpt!“

  • „Ich war... – Grüne Woche Berlin – 25 Hallen - Gefühlte 42 Kilometer – Recherchen – Lebens.. mittel.. qualität.“

Ich ließ ihn erstmal zur Puste kommen. Bei einem starken Kaffee erhielt ich weitere Informationen. Auf der Grünen Woche hatte er Dutzende von Experten interviewt, hauptsächlich zum Thema Nudelqualität. Bei der Sonderschau des Bundesministe­riums für Landwirtschaft, Ernährung und Verbraucherschutz hat anscheinend der Frust vollends zugeschlagen.

„Lebensmittelsicherheit in Deutschland – ein Labyrinth. Fragst du einen Lebensmittel­experten nach Hühnerfleisch, ist er nicht zuständig. Er ist nur Spezialist für Pflanzenbehandlungsmittelrückstände im deutschen Brotgetreide, von Hühnern hat er keine Ahnung. Dafür ist ein anderer zuständig.“

  • „Aber wir haben doch extra ein Ministerium für Ernährung, das sollte doch in der Lage sein, die Menge an Informationen über die EU-Verordnungen und Richtlinien sowie die Tausenden von Normen irgendwie zu koordinieren“ wagte ich möglicher­weise etwas zu naiv einzuwerfen.

„Der Bund hat vor vier Jahren ein Max-Rubner-Institut für Ernährung und Lebens­mittel gegründet. Schöne Sache, aber wenn du etwas über Fleisch wissen willst, musst du zur Zweigstelle nach Kulmbach. Für Getreide ist Detmold zuständig, für Milch und Fisch Kiel und bei Obst und Gemüse musst du nach Karlsruhe reisen.“

  • „Aha, lasse mich raten. Die häufigste Antwort auf deine Fragen war: Dafür sind wir nicht zuständig. Alles behördliche Spezialisten. Das kenne ich auch von anderen Ämtern.“ Jupp hatte mein Mitgefühl, nachdem ich mir schon bei vielen Ange­legenheiten behördlicherseits die Füße wundgelaufen hatte.

„Alles ist bei uns überbürokratisiert. Der Staat muss endlich etwas dagegen unternehmen. Wir brauchen dringend ein Amt für Nichtzuständigkeiten.“

  • „Wie, noch ein Amt? Das gibt ja noch mehr Bürokratie.“ Mir leuchtete die Idee noch nicht ein. „Und Nichtzuständigkeit - was soll das sein?“

„Das ist doch ganz einfach. Das ist eine Behörde, die für alles dann automatisch zuständig ist, wenn sich andere Ämter für nicht zuständig erklären. Sozusagen ein Rettungsamt, wenn du durch den Dschungel der Bürokratie irrst. Du suchst nicht mehr weiter, sondern gehst gleich zum Amt für Nichtzuständigkeiten. Die werden dann dein Problem zu lösen, indem sie den zuständigen Sachbearbeiter ausfindig machen.“

  • „Tolle Idee. Aber dafür brauchst du doch wieder ein Riesen-Beamtenheer. Überleg doch mal, wo sich überall die Beamten für nichtzuständig erklären können.“

Auch hier hatte Jupp gleich eine Problemlösung parat: „Warum, Beamte haben wir doch genug. Gerade wurde vor drei Monaten die ZEP in Berlin aufgelöst. Die ist genau richtig für diese Aufgabe.“

Ich kannte zwar zappen und zippen, aber von ZEP hatte ich noch nichts gehört.

  • „ZEP ist das Zentrale Personalüberhangmanagement, ein Beamtenpool mit Tausenden von Beamten, die mit dem Arbeitsplatzvermerk „kw - kann wegfallen“ nicht mehr gebraucht wurden. Die hat der Berliner Finanzsenator gegründet. Nun muss er nach einem Gerichtsbeschluss diese Stelle bis 2013 wieder auflösen. Und wie macht er das?“

Jupp schaute mich herausfordernd an. Ich hatte keine Ahnung, wie man eine Behörde auflöst. Hat es so etwas überhaupt schon mal gegeben? Sonst gründet man doch immer neue Behörden und vergisst die alten. Wofür haben wir denn noch eine Bundesmonopolverwaltung für Branntwein oder ein Bundesjazzorchester? Die folgende Antwort von Jupp gab mir aber den Glauben an das Parkinson’sche Gesetz wieder.

  • „Ganz einfach und genial: Man macht aus ZEP ein EZEP. Ich zitiere: Aufgabe des Ehemaligen Zentralen Personalüberhangmanagements (EZeP) ist die Abwicklung des früheren Zentralen Personalüberhangmanagements (Stellenpool) und die Versetzung der ihm unterstellten Personalüberhangkräfte nach Maßgabe der gesetz­lichen Bestimmungen.Jetzt brauchen wir einfach nur die ehemaligen ZEP-Beamten mittels EZEP ins ANZ versetzen.“

Jupp musste meinen fragenden Blick bemerkt haben, denn er setzte gleich fort: „ANZ - na, das ist mein Amt für Nichtzuständigkeiten. Davon rede ich doch die ganze Zeit. Damit hätte ich mir heute eine Menge Zeit einsparen können.“

 

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Die Wiederholung ist die Mutter – nicht bloß des Studierens, auch der Bildung.

Jean Paul

 

In der Wiederholung liegt die Vertiefung!

Carsten K. Rath                                                                                (nach gutzitiert.de)

 

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