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Wir bauen uns eine künstliche Intelligenz!

von Ingo Nöhr

Ingo Nöhr zum 1. März 2023: (Remake vom Sept 2017)

Unsere menschlichen Experten Ingo und Jupp befassen sich angesichts der Weltlage mit der neuen Krone der Schöpfung, die schon am Horizont sichtbar wird: die künstliche Intelligenz. Sie soll die Welt besser machen und möglichst bald von der menschlichen Dummheit befreien. Klima­wandel, Kriegslüsternheit, Religions­fanatismus, Umweltzerstörung, … - nichts davon wird der menschliche Geist in abseh­barer Zeit in den Griff bekommen. Die ersten, hochwill­komme­nen Vorboten kümmern sich schon um profane Tätig­keiten wie Putzen, Rasenmähen und das Kommunizieren zu Hause. Sie übernehmen unsere motorisierte Fortbewegung, lernen unsere Vorlieben kennen und saugen unser Wissen ab. Lösen sie uns auch bei den ungeliebten Pflegetätigkeiten der alten, behinderten oder dementen Leute ab? Werden sie uns schließ­lich unter Vormundschaft nehmen, damit wir in der Welt nicht noch weiteren Schaden anrichten können?   

Na Jupp, du schaust so zufrieden drein. Ist zuhause wieder alles in Ordnung?

  • Ja, der Hausfrieden ist nach dem Debakel mit dem Putzroboter wieder hergestellt. Weil der die Hundekacke in der ganzen Wohnung verteilt hatte, konnte ich ihn im Laden zurückgeben und gegen einen Rasenmäher-Roboter eintauschen. Zum Schrecken aller Katzen läuft der jetzt nachts im Garten herum und hinterlässt dabei einen topgetrimmten Golfrasen. Die Nachbarn sind schon ganz neidisch. Einer wollte ihn sich schon heimlich ausleihen, aber das ging nicht so einfach. Der hat ihm alle Blumenrabatte abrasiert, weil er vorher nicht sein Arbeitsrevier abgesteckt hat. Also, mit Intelligenz hat es mein Roboter noch nicht so ganz.

Ich denke mal, Jupp, ein Gartenroboter mit echt künstlicher Intelligenz müsste in der Lage sein, deinen Befehl „Jäte mal das ganze Unkraut“ erfolgreich und ohne Fragen auszuführen. Dazu wäre wohl ein Diplom als Botaniker hilfreich. Und ein wirklich intelligenter Putzroboter sollte die Aufforderung „Mach mal da den Dreck weg“ verstehen und umsetzen können, wenn er deine Frau ersetzen soll. Dazu müsste er sich selbst eine Menge Fragen beantworten können: Was meinst du mit „Dreck“? Wo ist „da“? Was heißt „mach mal“? Wie? Fegen, bürsten, wischen, saugen, abkratzen? Und was ist mit dem Wörtchen „weg“ gemeint? Wohin? Unter den Teppich, in eine stille Ecke, in den Mülleimer, und wegen der Mülltrennung in welchen Eimer?

  • Da hast du recht, Ingo. Diese Blechheinis sind vom Denken noch sehr weit entfernt. Aber der Anfang ist schon gemacht. Ich habe mir jetzt eine persönliche Assistentin angeschafft. Alexa. Sie ist gewissermaßen die Schwester von Apples Siri und Microsofts Cortana und klingt im Vergleich am besten. Man möchte fast sagen: am menschlichsten. Die hat es schon richtig drauf. Morgens zum Frühstück erinnert sie mich an meine Termine, liest mir dann ausgewählte Weltnachrichten vor, berichtet über die regionalen Wetteraussichten, erzählt einen Witz und spielt dann Musik nach Wunsch ab. Nur die Lottozahlen von der nächsten Woche kennt sie noch nicht vorhersagen. Ich kann mich richtig angenehm mit ihr unterhalten. Ja, und erst diese sympathische Stimme! Zum Verlieben sage ich dir.

Warte mal Jupp. Das hört sich jetzt aber gefährlich an. Was sagt denn deine Frau dazu? Wird sie nicht eifer­süchtig, wenn du andauernd mit einer charmanten Frau rumquatscht?

  • Na ja, anfangs schon. Zugegeben, da hatte ich es auch etwas übertrieben. Aber dann habe ich ein spezielles Frauenprogramm installiert. Jetzt schlägt Alexa meiner Frau auf Wunsch ein Rezept für das Mittagessen vor, verwaltet ihre Einkaufsliste, informiert sie über Sonderangebote in den Supermärkten, vergleicht die Preise, sucht die billigste Tankstelle in der Umgebung heraus, nennt die Öffnungszeiten von Apotheken, durchsucht für sie die Fernsehprogramme nach ihren Lieblingssendungen, … Also jetzt ist sie sehr zufrieden. Sie möchte nur eine andere Stimme haben. Einen knackigen jungen Mann natürlich.

Das ist ja auch ein anderes Kaliber als dein Putzroboter, Jupp. Alexa ist über die Amazon-Cloud mit KI-Rechnern verbunden und lernt ständig dazu. Stört dich das nicht, dass Alexa in deiner Wohnung permanent auf Horchposten sein muss, damit sie auf deinen Zuruf reagieren kann? Was macht sie wohl in den langen Wartepausen? Ich glaube, du hast dir damit eine Abhörwanze für die Geheimdienste installiert und dafür auch noch Geld bezahlt. Big Brother ist jetzt bei dir eingezogen. Alexa ist gerade als Zeugin in einem amerikanischen Mordprozess zugelassen worden. Die Polizei erhofft sich von den Alexa-Daten Informationen darüber, was sich in der Nacht im Tatorthaus abgespielt hat. Pack die Alexa bloß sofort in den Kühlschrank oder weit weg in die hinterste Ecke von deinem Garten, wenn ich dich mal besuchen sollte.

  • Also Ingo, sieh doch das Positive. Zeugin Alexa eröffnet damit neue Aspekte bei der juristischen Verfolgung von häuslicher Gewalt. Und das mit dem Abhören stimmt so nicht ganz. Erstens schaltet sich Alexa erst bei ihrem Stichwort ein, zweitens kann ich das Mikrofon manuell abschalten und drittens werde ich jederzeit den Stecker ziehen können. Aber warum sollte ich? Alexa ist für mich eine große Hilfe, denn sie kann auf Zuruf alles googeln, hat sofort Zugang zu Wikipedia und ist mit Tausenden von nützlichen Skills koppelbar. Außerdem bekommt Alexa bald Augen in Form einer lernenden Kamera. Dann kannst du dein aktuelles Outfit bewerten lassen und Alexa gibt dir Ratschläge zur Verbesserung deines Stils inklusive passender Schminktipps.

Lieber Jupp. Deine charmante Alexa leitet nach ihrem Aufruf alle Audiodaten in die Cloud und speichert sie dort auf Amazon-Servern. Allein der Zugriff auf deine Sprachmuster ermöglicht Amazon und deren Partnern eine psychologische Profilierung. Firmen wie Cambridge Analytica haben sich auf diesen Geschäftszweig spezialisiert und nutzen die Alexa-Daten zur Auswertung deiner Sprach- und Verhaltensmuster. In den USA existiert mittlerweile über 250 Millionen Bürger ein Datendossier mit Psychoprofilen, von dem die Stasi nur hätte träumen können.

  • Ingo. Mag ja alles sein. Aber verschließe nicht die Augen vor der digitalen Welt: „Das Internet ist wie eine Welle: entweder man lernt auf ihr zu schwimmen, oder man geht unter.“ sagt Bill Gates. Und Mark Zuckerberg stellt fest: “Einst lebten wir auf dem Land, dann in Städten und von jetzt an im Netz.” Mit diesen Daten lassen sich in Simulationen Kaufentscheidungen durchspielen, Verhaltensmuster berechnen, Werbung perfektionieren, kurzum, das gesamte Wirtschaftsleben wird optimiert. Das erleichtert unseren Alltag, weil uns genau die Bücher oder Waren empfohlen werden, die wir tatsächlich mögen. Würdest du denn auf dein Smartphone verzichten wollen? Bald wirst du auch einen persönlichen Assistenten oder einen Haushalts­roboter zu schätzen wissen. Im hohen Alter bespaßt dich dann eine knackige Roboterfrau und erfüllt alle deine Wünsche.

Träume ruhig weiter, Jupp. Denn wenn es schlecht läuft, darfst du nicht mehr nach Amerika ein­reisen, weil deine Profilierung ein potenzielles Gefahrenmuster aufzeigt. Oder du kannst keine Versicherung gegen Berufsunfähigkeit abschließen, weil die Software eine Depression entdeckt hat und dies dem Unternehmen heimlich mitteilt. Deine Krankenkasse meckert über deinen hohen Alkoholkonsum oder dein Übergewicht, weil sie von deinem Kühlschrank oder deiner Badezimmerwaage alarmiert wurde.

Und zum Stichwort knackige Roboterfrau: da ist noch ein weiter Weg bis zur menschenähnlichen KI. Ich gebe ja zu, über die Instrumente Big Data, Machine Learning und Musteranalysen kann man mit den fast unbegrenzten Speicherkapazitäten eine Menge Weltwissen zusammentragen. Eine Billion Google-Suchanfragen pro Jahr sind eine Menge Futter für die KI. Und mit dem Projekt Ocean scannte Google bislang 25 Millionen Bücher, und dies nicht vorrangig für eine Leserschaft. Google Books baute sich damit in erster Linie eine Datenbasis für ihre eigene KI-Basis auf.

Automatische Textroboter verfassen täglich Mel­dungen zum Sport, zum Wetter und sonstigen Geschehen, ohne dass ein Redakteur noch gebraucht wird. Google setzt die KI gegen Hass-Emails ein und Facebook hat vor den deutschen Wahlen zehn­tausende Seiten gesperrt. Da lässt sich doch im Handumdrehen auch eine unsichtbare Zensur ein­richten, wie es in China und anderswo schon der Fall ist. „Künstliche Intelligenz ist allemal besser als natürliche Dummheit“, hat schon Ex-Minister Hans Matthöfer im letzten Jahrhundert festgestellt.  

  • Apropos Hass-Emails - wäre ja peinlich, wenn plötzlich auch Trumps Twitter-Tiraden gelöscht würden. Aber Ingo, Wissen sammeln und computergerecht aufbereiten ist doch ein alter Hut. Kannst du dich noch an die medizinischen Expertensysteme in den 1970er Jahren erinnern? Knowledge Engineers haben jahrelang etliche Fachärzte bezüglich ihres Wissens ausgequetscht, dieses dann computergerecht in Daten und Regeln formuliert. Das Ergebnis war ein schlaues Expertensystem. Ich erinnere mich noch an MYCIN für die Diagnostik bakterieller Infektionen und INTERNIST für die Innere Medizin.

Ja, Jupp, das war schon eine aufregende Sache. Leider brachte dies nicht das gewünschte Ergebnis, weil die Top-Mediziner oft nach Intuition ent­scheiden und diesen Vorgang nicht in Worten fassen konnten. Ich glaube, der Todesstoß für diese Art Expertensysteme fiel am Schwarzen Montag, dem Börsencrash im Oktober 1987. Die Börsenhändler nutzten die computerisierten Handelssysteme, deren Algorithmen selbständig und in Echtzeit über Ankauf und Verkauf der Aktienpakete entschieden. Die Rechneralgorithmen sorgten bei einem fallenden Kurs plötzlich für einen dramatischen Lawineneffekt, weil alle gleichzeitig verkaufen wollten. Die Kurse brachen weltweit zusammen.      

  • Algorithmen haben ja auch ihr Gutes, Ingo. Heute können wir im Internet das kostenlose MEDRAPID mit einer Wissensbank von 5000 Krankheitsbildern abfragen. Damit sollen 98% aller klinischen Anfragen beantwortet werden können. Und natürlich dürfen wir unseren guten alten Doktor IBM Watson nicht zu vergessen. Der breitet sich in den medizinischen Disziplinen rasant aus und erschlägt jedem Facharzt mit seinem ständig aktualisierten Zugriff auf alle weltweiten Veröffentlichungen. Als lernendes System und durch strategische Allianzen kann er höchst komplexe Schlussfolgerungen ziehen.

    Dazu fällt mir ein Witz ein, Ingo: Kommt ein Patient mit einer komplizierten Krankheit zum reichlich arroganten Chefarzt. Der beruhigt ihn mit den Worten: „Mit meinen 40 Jahren Berufserfahrung kriege ich das locker hin. Sie sind bei mir in den besten Händen. Glauben Sie mir, keiner weiß besser über Ihre Krankheit Bescheid als ich.“ Murmelt der dabeisitzende Arzthelfer: „Das war mal. Mit meinem Smartphone kann ich locker auf 600 Jahre Chefarzterfahrung zugreifen.“

Schöner Witz. Da wird einigen Halbgöttern in Weiß das Lachen aber im Halse stecken bleiben. Dennoch, Jupp, schau dir mal den Aufwand für den IBM Watson an! Die erste Generation lief auf 90 Power-750 Servern, jeder mit 8-Kern Prozessoren, 16.000 GB RAM, massiv parallel-rechnend und ist 2011 damit überraschend Jeopardy-Sieger geworden. Diesen Watson kannst du nicht einfach mit dir herumtragen.

  • Ingo, das war vor sechs Jahren. Sieh doch nur den Fortschritt bei den selbstfahrenden Autos. Schon heute kannst Du einem Roboterauto den Auftrag erteilen, eine bestimmte Person an einem Bahnhof abzuholen, diese durch den dicksten Berufsverkehr unfallfrei ans andere Ende der Stadt zu kutschieren und dabei noch vermeintlich tiefsinnige Gespräche über Gott und die Welt zu führen. Bald sind bei uns die fahrerlosen Züge, LKWs, Busse, Schiffe und Taxen Alltag.

Hört sich ja auf den ersten Blick gut an, Jupp. Aber wenn deine Person am Bahnhof von einer Gesichtserkennungs-Software erfasst wird und der KI-Algorithmus fälschlicherweise Terroristen-Alarm auslöst, wird ein KI-Roboterpolizist dein KI-Roboterauto präventiv in die Luft sprengen. Unser Innenminister de Maizière träumt ja von einer flächendeckenden Videoüberwachung mit KI, jetzt, wo er die schon deutschen Personalausweise mit biometrietauglichen Passbildern versehen hat. Dumm nur, wenn der Ganove eine Baseballkappe trägt. Und mit dem Staatstrojaner darf er in allen privaten Endgeräten seiner Bürger jederzeit und heimlich eine Überwachungssoftware installieren.  

  • Ingo, das braucht er doch gar nicht mehr. Er muss doch nur die Meldungen auf WhatsApp, Facebook und Twitter mitlesen. Unser Datenschutz steht deswegen längst auf verlorenem Posten, weil die heran­wachsende Generation am globalen Datenstrom teilhaben will. Keiner schreibt mehr im stillen Kämmerlein ein Tagebuch. Die täglichen Erlebnisse werden stolz mit Bild ins Netz gestellt, um immer mehr Likes und Followers zu gewinnen. Das sind die neuen Erfolgsparameter für eine gelungene Vernetzung in der Welt. Jeder will mal für 15 Minuten berühmt sein, sagte Andy Warhol. Dabei ignorieren sie die 400 Jahre alte Erkenntnis des Philosophen René Descartes: „Gut hat gelebt, wer sich gut versteckt hat. Ich habe gar keine Lust, in der Welt angesehen zu sein, ich werde den Genuss ungestörter Muße stets für eine größere Wohltat halten als die ehrenvollsten Ämter der Erde.“ Da hält sich heute keiner mehr dran.

Der Schauspieler Henry Fonda meinte mal: „Der Gipfel des Ruhms ist, wenn man seinen Namen überall findet, nur nicht im Telefonbuch.“  Eigentlich wollen wir das ja auch, ich meine mehr und mehr Likes. Wer im Internet nicht zu finden ist, erweckt den Verdacht, er habe gar nicht existiert. Deshalb kann jeder unsere monatlichen Stammtischgespräche im Internet nachlesen. Wahrscheinlich sind wir auch schon Teil des KI-Weltwissens geworden. Wer weiß, was die geheimen KI-Nutzer schon an Psychogrammen von uns erstellt haben. Wenn wir zu viel über sie meckern, werden sie sich vielleicht später rächen und uns auf eine No-Fly Liste setzen. Dann ist Sense mit dem schönen Urlaub im Ausland.

  • Ingo, ich stelle fest, du hast dir eine sehr pessimistische Weltsicht zugelegt. Hast du denn über­haupt nichts Positives zu berichten?

Verschweige, was du tun willst. So kommt dir niemand dazwischen.“ - alte Lebensweisheit meines Opas. Das ist ja das Gute am Internet: Du kommst mit Leuten zusammen und mußt doch keinen ausgeben. Daher habe ich dem Netz in den vergangenen fünf Jahren nie verraten, wo wir welche Biersorte trinken! Die Lösung kennen nur drei Leute.

Herr Wirt, bitte wieder zwei Bier, wie immer ohne Aufsehen.

  • Ja dann: Prost auf unser geheimes Kneipenprofil. Und hoffen wir, dass uns irgendeine Künstliche Intelligenz künftig nicht aus vermeintlicher Fürsorge vor diesem Genuss beschützen will.

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