Medizinprodukte: Frühe Nutzenbewertung bei neuem theoretisch-wissenschaftlichem Konzept
von Rudi Wuttke
Der Bundesrat hat das Versorgungsstärkungsgesetz gebilligt
Der Bundesrat hat am 10. Juli das Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV- Versorgungsstärkungsgesetz) in der Fassung des Bundestagsbeschlusses vom 11. Juni 2015 gebilligt. Zahlreiche verabschiedete Maßnahmen, welche wie die frühe Nutzenbewertung auch für die Medizintechnik wichtig sind, sollen eine breite Versorgung auf hohem Niveau sicherstellen.
Innovative Methoden, bei denen neuartige invasive Medizinprodukte mit hohem Risiko angewendet werden sollen, werden ab 2016 frühzeitig einer systematischen Bewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) unterzogen. Krankenhäuser, die eine solche neue Methode anwenden wollen, müssen an den zur Erprobung vorgesehenen Studien teilnehmen.
Die Bewertung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden mit Medizinprodukten hoher Risikoklasse regelt der neu geschaffene § 137h SGB V: Ausgangspunkt ist eine erstmalige Anfrage nach § 6 Absatz 2 Satz 3 des Krankenhausentgeltgesetzes hinsichtlich einer neuen Methode, deren technische Anwendung maßgeblich auf dem Einsatz eines Medizinprodukts mit hoher Risikoklasse beruht. Weist die Methode ein neues theoretisch-wissenschaftliches Konzept auf, informiert der Gemeinsame Bundesausschuss die möglicherweise interessierten Krankenhäuser und betroffenen Hersteller, damit diese Unterlagen einreichen. Auf deren Grundlage erstellt der G-BA innerhalb von drei Monaten ein Ergebnis, wie der Nutzen der Methode unter Anwendung des Medizinprodukts zu bewerten ist (Einzelheiten siehe § 137h SGB V Abs.1).
Eine frühzeitige Bewertung von neuartigen Medizinprodukten mit hoher Risikoklasse ist ab 2016 vorgesehen
Als Medizinprodukte mit hoher Risikoklasse gelten Produkte der Klassen IIb oder III nach der Richtlinie 93/42/EWG und Produkte nach der Richtlinie 90/385/EWG, deren Anwendung einen besonders invasiven Charakter hat. Eine Methode weist nach § 137h SGB V Abs.1 ein neues theoretisch-wissenschaftliches Konzept auf, wenn sich ihr Wirkprinzip oder ihr Anwendungsgebiet von anderen, in der stationären Versorgung bereits eingeführten systematischen Herangehensweisen wesentlich unterscheidet. Nähere Kriterien zur Bestimmung der oben genannten Voraussetzungen regelt das Bundesministerium für Gesundheit durch eine Rechtsverordnung, welche es im Benehmen mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung erstmals bis zum 31. Dezember 2015 erstellen muss.
Anmerkung:
Im Prinzip ist ein frühe Nutzenbewertung von Medizinprodukten aus Sicht des Bürgers zu befürworten, entsprechend äußerten sich zu diesem Punkt alle Parteien positiv, selbst Bündnis 90/Die Grünen, welche in dritter Lesung im Bundestag gegen das Gesetz gestimmt haben. Die Linke, die sich bei der Abstimmung enthielt, hatte u.a. explizit eine Bewertung für alle Hochrisikoprodukte gefordert.
Aus Bürger-/Patientensicht ist eine Nutzenbewertung um so wichtiger, als die Sicherheit der Medizinprodukte auf europäischer Ebene nur unzulänglich geregelt wurde und weiterhin eine große Schwachstelle darstellt. Zwar können sich eine Bewertung der Sicherheit und des Nutzens von Medizinprodukten auf vielfältige Weise unterscheiden, mit auftretenden Komplikationen gibt es jedoch ein verbindendes gemeinsames Element, welches sowohl auf die Sicherheit als auch auf den Nutzen einen großen Einfluss ausüben kann. Eine hohe produktbezogene Komplikationsrate beispielsweise bei der Implantation einer Herzklappe durch einen Katheter beinhaltet nicht nur aktuell ein hohes Sicherheitsrisiko, sie führt auch längerfristig zu schlechten/schlechteren Nutzenbewertungen, da sich die Komplikationen negativ auf das Ergebnis auswirken.
Gegenüber früheren Plänen ist der Umfang der Nutzenbewertung von Medizinprodukten durch die Einflussnahme der einschlägigen Industrieverbände dennoch deutlich reduziert worden. So sollen Schrittinnovationen den Maßnahmen nicht mehr unterliegen, nur noch Sprunginnovationen. Auch bei der Erstellung der geplanten Rechtsverordnung dürfte die Industrie ihre vielfältigen Möglichkeiten erfolgreich dafür einsetzen können, die Zahl der betroffenen Medizinprodukte weiter einzuschränken und die Anforderungen weiter aufzuweichen.
Gesetzesbeschluss des Deutschen Bundestages
Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung
(GKV-Versorgungsstärkungsgesetz – GKV-VSG)
Bundesrat Drucksache 283/15, 19.06.15 (siehe insbesondere S. 26ff)
http://dipbt.bundestag.de/dip21/brd/2015/0283-15.pdf
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Kommentar von Armin Knaus |
Grundsätzlich spricht ja gar nichts gegen eine Risikobewertung von neuen Instrumenten hoher Risikostufen. Das Problem sind jedoch die Kosten für die Zertifizierung. Ein innovativer Kleinstbetrieb muss schon sehr viel Geld in die Hand nehmen um diese Risikobewertung seiner neusten Instrumentengeneration zu bezahlen. Indirekt werden damit Konzerne, welche sich Zertifizierungen leisten können gestärkt und die wirklich Innovativen kleineren Betriebe haben auf dem Markt kaum eine Chance sich durchzusetzen... Das alles wird uns mal wieder unter "Sicherheit in der Medizintechnik" verkauft.
Kommentar von Med Cert |
Ich finde das absolut richtig. Wenn man Bausilikon in Brustimplantaten unterbringen kann und man zeitweise nichts davon mitbekommt ist es einfach Zeit zu handeln. Des weiteren wurden in einem bekannten KRK am Bodensee "häufig zu defekten neigende" Oberschenkelhalsimplantate einfach weiter eingesetzt bis die Charge "verarbeitet" war. Unfassbar....