Konsequenzen von MDR/IVDR für Anwender und Betreiber
von Rudi Wuttke
Factsheet für Gesundheitsberufe und Gesundheitseinrichtungen
Die Vorschriften der neuen EU-Verordnungen für Medizinprodukte (MDR[1]) und für In-vitro-Diagnostika (IVDR[2]) richten sich zwar in erster Linie an die sog. Wirtschaftsakteure wie Hersteller und Händler, können aber auch Anwender und Betreiber betreffen.
Speziell für Angehörige der Gesundheitsberufe und für Gesundheitseinrichtungen hat die Europäische Kommission kürzlich ein kompaktes siebenseitiges Factsheet herausgegeben, welches u.a.
Die neuen Verordnungen enthalten gegenüber den bisherigen Richtlinien zusätzliche Vorschriften mit strengeren Auflagen insbesondere für Hersteller und Benannte Stellen. Auch haben bei ihnen klinische Daten einen deutlich höheren Stellenwert. Die Änderungen können sich negativ auf die Verfügbarkeit von Medizinprodukten für die Gesundheitseinrichtungen auswirken, wenn Hersteller bestimmte Produktionslinien einstellen oder ihre Bescheinigungen nicht oder nicht rechtzeitig erhalten. In diesem Zusammenhang empfiehlt das Factsheet eine rechtzeitige Kommunikation mit den Lieferanten.
Bevor Gesundheitseinrichtungen beginnen, konkrete Maßnahmen zur Anpassung an das kommende europäische Recht umzusetzen, sollten sie nach Auffassung des Autors erst in Deutschland geplante Vorhaben zur Anpassung wie ein „Gesetz zur Durchführung unionsrechtlicher Vorschriften betreffend Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika" (MIDG) und eine Verordnung dazu abwarten. Die Referentenentwürfe dazu werden möglicherweise schon im Juli 2019 vorgelegt werden (Medizinprodukte-Telegramm 6 / 2019).
Regeln für die Übergangszeit
Die Verordnungen werden während einer Übergangszeit von drei Jahren bis Mai 2020 (Medizinprodukte) und fünf Jahren bis Mai 2022 (In-vitro Diagnostika) schrittweise in Kraft treten. Dieser Übergang soll es den Adressaten ermöglichen, sich auf die Umsetzung der Verordnungen vorzubereiten; den Angehörigen der Gesundheitsberufe und den Gesundheitseinrichtungen verschafft es Zeit, um sich mit den für sie geltenden Anforderungen vertraut zu machen. Bis Mai 2025 kann es vorkommen, dass bestimmte nach den Richtlinien bzw. nach den Verordnungen in Verkehr gebrachte Produkte nebeneinander auf dem Markt angeboten werden. Beide haben rechtlich den gleichen Status, es darf beispielsweise keine Diskriminierung bei öffentlichen Ausschreibungen stattfinden.
Neue Risikoklassifizierung bei Software und IVD
Die Klassifizierung von Medizinprodukten in vier Klassen (Klasse I,IIa, IIb, III) bleibt unverändert, allerdings sind für bestimmte Produkte wie Standalone-Software Neuklassifizierungen vorgesehen.
Für In-vitro-Diagnostika existieren ganz wesentliche Änderungen der Risikoklassifizierung mit nun vier Risikoklassen (Klasse A, B, C oder D) und einer von A nach D steigenden Höhe des vermuteten Risikos. Bei etwa 85 Prozent aller In-vitro-Diagnostika wird durch die neue Zuordnung in Zukunft eine Überwachung durch eine Benannte Stelle erforderlich – statt bisher bei etwa 20 Prozent der IVD.
Rückverfolgbarkeit mit neuem UDI-System
Das neue System für die einmalige Produktkennung (Unique Device Identifier – UDI) (Artikel 27 MDR bzw. Artikel 24 IVDR), das für alle in der EU in Verkehr gebrachten Produkte stufenweise bis 2027 eingeführt wird, soll die Identifizierung und Rückverfolgbarkeit der Produkte verbessern. Als UDI wird ein Strichcode, ein QR-Code oder ein sonstiger maschinenlesbarer Code verwendet. Die Produktkennungen (UDI) sollen bei wiederverwendbaren Produkten direkt auf diesen selbst angebracht werden, ansonsten sind auch Kennzeichnungen von Verpackungen vorgesehen.
Bei implantierbaren Produkten der Klasse III sollen die Gesundheitseinrichtungen die UDI der Produkte speichern, die sie abgegeben oder bezogen haben, vorzugsweise elektronisch (Artikel 27 Absatz 9 MDR). Ein entsprechender Implantationsausweis soll den Patienten zur Verfügung gestellt werden, denen ein Produkt implantiert wurde. Die Gesundheitseinrichtungen sollen einen schnellen Zugang zu den im Implantationsausweis enthaltenen Angaben ermöglichen, es sei denn, die Art des Implantats ist von dieser Verpflichtung ausgenommen (hierzu gehören derzeit zum Beispiel Klammern und Dentalkomponenten, Artikel 18 der MDR). In Deutschland existieren bereits sehr ähnliche Verpflichtungen für Gesundheitseinrichtungen für bestimmte Implantate seit mehreren Jahren nach der Medizinprodukte-Betreiberverordnung (MPBetreibV).
Hausinterne Produkte: Eigenherstellung wird schwieriger
Gesundheitseinrichtungen haben nach den Verordnungen auch in Zukunft grundsätzlich die Möglichkeit, Produkte „in einem nicht-industriellen Maßstab“ hausintern herzustellen, zu ändern und zu verwenden (Artikel 5 MDR bzw. IVDR), aber nur unter bestimmten Bedingungen, und sofern keine gleichartigen Produkte kommerziell verfügbar sind. Mit Ausnahme der grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen gemäß Anhang I MDR bzw. IVDR sind hausinterne Produkte von den Anforderungen der Verordnungen ausgenommen, solange sie nicht (ähnlich wie bisher auch bei der Eigenherstellung) an eine andere juristische Person abgegeben werden.
Allerdings sollen die Gesundheitseinrichtungen dann ähnlich wie Hersteller als Wirtschaftsakteure über geeignete Qualitätsmanagementsysteme verfügen, eine geeignete Dokumentation einschließlich Zweckbestimmung erstellen, Erfahrungen aus der klinischen Verwendung begutachten sowie alle erforderlichen Korrekturmaßnahmen ergreifen.
Wenn Angehörige der Gesundheitsberufe Produkte herstellen oder verwenden, die Artikel 5 nicht entsprechen, müssen sie sich an die gleichen Regeln halten wie die Hersteller. Die Mitgliedstaaten können von diesen Gesundheitseinrichtungen verlangen, dass sie der zuständigen Behörde alle weiteren relevanten Informationen über solche in ihrem Hoheitsgebiet hergestellten und verwendeten Produkte vorlegen. Die Mitgliedstaaten haben nach wie vor das Recht, die Herstellung und die Verwendung bestimmter Arten solcher Produkte einzuschränken. Ferner erhalten sie Zugang zuden Gesundheitseinrichtungen, um deren Tätigkeiten zu überprüfen.
Aufbereitung von medizinischen Einmalprodukten bleibt möglich
Sofern es auch nach nationalem Recht erlaubt ist, gestattet die MDR unter der alleinigen Maßgabe von Artikel 17 die Aufbereitung von medizinischen Einmalprodukten, damit sie sicher wiederverwendet werden können. Alle Pflichten des Originalherstellers dieses Produkts müssen dabei von dem Aufbereiter übernommen werden. Allerdings können die Mitgliedstaaten beschließen, diese Regelung unter bestimmten Voraussetzungen national zu lockern.
In diesen Fällen müssen die Sicherheit und die Leistung des aufbereiteten Produkts der des Originalprodukts gleichwertig sein und es müssen ähnlich wie bei Herstellern Systeme im Hinblick u.a. auf das Risikomanagement, das Qualitätsmanagement und die Rückverfolgbarkeit vorhanden sein. Die Kommission will gemeinsame Spezifikationen zur Harmonisierung der Praxis in den Mitgliedstaaten veröffentlichen, wo die Aufbereitung zulässig ist.
Detaillierte Regelungen für Klinische Prüfungen/Leistungsstudien
Die neuen europäischen Regelungen für klinische Prüfungen (Artikel 62 bis 82 MDR) und für Leistungsstudien (Artikel 57 bis 77 der IVDR) sind deutlich umfangreicher geworden, weisen aber mancherlei Ähnlichkeiten mit den bisherigen deutschen Vorschriften im Medizinproduktegesetz (MPG) auf.
In den neuen Bestimmungen werden die Konzeption, Mitteilung/ Genehmigung, Durchführung, Aufzeichnung und Berichterstattung dieser Prüfungen relativ genau beschrieben. Allerdings sind diese neuen Anforderungen nur für solche Gesundheitseinrichtungen relevant, die selbst als Sponsor auftreten oder deren Mitarbeiter als Angehörige der Gesundheitsberufe an solchen Studien mitarbeiten.
In diesem Zusammenhang enthält das Factsheet auch noch folgenden speziellen Hinweis: Medizinprodukte, für die gemäß Artikel 54 MDR ein Konsultationsverfahren im Zusammenhang mit der klinischen Bewertung durchzuführen ist, sowie In-vitro-Diagnostika der Klasse D nach Artikel 48 Absatz 6 IVDR dürfen nicht vor Einrichtung der Expertengremien sowie der Referenzlaboratorien der Europäischen Union für Produkte der Klasse D in Verkehr gebracht werden.
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