Hersteller und Behörden wollen keine amtliche Zulasssung
von Rudi Wuttke
Auf europäischer und nationaler Ebene wird derzeit intensiv daran gearbeitet, die Akkreditierung und Überwachung der Benannten Stellen für Medizinprodukte zu verbessern. Das wurde auf der BVMed-Konferenz "Das Medizinproduktegesetz in der praktischen Umsetzung" am 8. November 2012 in Bonn deutlich, an der über 180 Behörden- und Unternehmensvertreter teilnahmen.
BVMed-Geschäftsführer und Vorstandsmitglied Joachim M. Schmitt sprach sich für eine Re-Akkreditierung aller Benannten Stellen aus, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Hans-Heiner Junker vom TÜV SÜD Product Service forderte einheitliche Kriterien für die Akkreditierung und die Überwachung der Benannten Stellen. Auch müsse es einheitliche Anforderungen an die Qualifikationen der Experten geben. Erik Hansson von der Europäischen Kommission und Dr. Matthias Neumann vom Bundesgesundheitsministerium betonten, dass es bereits 2013 strengere Anforderungen an Kompetenz, Ausstattung und Verfahren der Benannten Stellen durch eine EU-Verordnung geben werde, deren Entwurf kürzlich vorgelegt wurde.
Vorschlag der Kommission für eine neue EU-Medizinprodukte-Verordnung
Den Vorschlag der Kommission für eine neue EU-Medizinprodukte-Verordnung stellte E. Hansson im Detail vor. Durch den Brustimplantateskandal ist der Medizinproduktebereich auch in Brüssel stärker auf die politische Agenda geraten. So spielt derzeit neben dem Verordnungsvorschlag, der seit vielen Jahren vorbereitet wurde, auch ein Aktionsplan mit Sofortmaßnahmen eine wichtige Rolle. Dieser ziele darauf ab, die Schwächen im Bereich der Benannten Stellen zu beheben und ein einheitlich hohes Qualitätsniveau der Prüfstellen in Europa sicherzustellen. Dazu gehören Anforderungen an die Expertise der Prüfstellen oder unangekündigte Überprüfungen durch die Behörden und Prüfstellen. Hauptziel des Rechtsrahmens für Medizinprodukte sei die Sicherheit für Patienten und Anwender, so Hansson. Der neue Verordnungsentwurf baue auf die bisherigen Stärken auf: Innovationsfreundlichkeit, schneller Marktzugang, ausgewogene Kontrollen vor und nach Marktzugang. Die Schwachstellen des Systems würden aber angegangen und verbessert werden. Dazu gehöre ein zusätzlicher Prüfmechanismus ("Scrutiny mechanism") bei Hochrisikoprodukten und neuen MedTech-Verfahren sowie eine verbesserte Aufsicht bei der Benennung und Kontrolle der Benannten Stellen nach einheitlichen Standards. Die Sicherheit nach dem Marktzugang eines Medizinprodukts soll durch verstärkte Meldungen durch Anwender und Patienten sowie eine bessere Koordinierung der Analyse bei Vorkommnissen und der Marktüberwachung verbessert werden. Außerdem wird die Rückverfolgbarkeit von Produkten verbessert.
Neue EU-Medizinprodukte-Verordnung erfordert hohen Abstimmungsbedarf
Die Auswirkungen der geplanten EU-Verordnung auf die nationale Gesetzgebung beleuchtete Dr. Matthias Neumann vom Bundesgesundheitsministerium. Der Vorschlag der Europäischen Kommission soll ein hohes Maß an Sicherheit und Gesundheitsschutz gewährleisten. Er enthält "viele grundsätzlich neue und nicht unumstrittene Ideen", so dass die Beratungen sehr viel Zeit benötigen werden. "Derzeit sind die Bestimmungen der Verordnung vielfach nicht ausreichend detailliert, um rechtssicher angewendet werden zu können. Eine zeitaufwändige Klärung der Details im Rat und dem Parlament ist daher absehbar", so Dr. Neumann. Ein wichtiges Anliegen ist eine verstärkte Transparenz. Alle Medizinprodukte sollen in einem zentralen Register (Eudamed) geführt werden - mit allen Prüfbescheinigungen, klinischen Prüfungen, Vorkommnissen und Marktbeobachtungsaktivitäten. Zudem wird eine UDI-Datenbank (Unique Device Identification) aufgebaut, um die Nachverfolgbarkeit von Medizinprodukten zu verbessern. Dies müsse aber schneller als im Verordnungsentwurf vorgesehen geschehen, "denn UDI ist für den Aufbau effizienter Register unabdingbar." Ein wichtiger Aspekt des Kommissionsentwurfs seien detaillierte strenge Anforderungen an Kompetenz, Ausstattung und Verfahren der Benannten Stellen. Dazu gehören unangekündigte Audits oder die Rotation von Auditoren. Beim Benennungsverfahren ist zudem die Einholung einer unabhängigen qualifizierten Zweitmeinung erforderlich. Parallel dazu läuft der "Dalli Action Plan". Eine Verordnung zur einheitlichen Anwendung der Benennungskriterien an Benannte Stellen wird von der Europäischen Kommission vorgeschlagen und soll im Frühjahr 2013 verabschiedet werden.
Auf Hersteller von Hochrisikoprodukten kommt ein höherer Aufwand zu
Die Konsequenzen des neuen Rechtsrahmens für die Hersteller von Hochrisikoprodukten stellte Volker Schöwel vor, Leiter der Internationalen Produktzulassung und Klinische Studien bei Biotronik. Das Risiko eines Zulassungsantrags wird sich durch die Neuregelung erheblich erhöhen, die Zulassungszeiten werden länger, so Schöwel. Dabei sei das heutige System bewährt und genauso sicher wie das US-System*). Die neue Verordnung werde zu erheblichen Mehrkosten für die Medizinproduktehersteller durch Gebühren, Zusatzaudits und den "Scrutiny"-Prozess führen. Außerdem werde es erhebliche Mehraufwände für die Unternehmen geben - statt der angestrebten Vereinfachung. Insbesondere das "Scrutiny"-Verfahrens sollte überarbeitet werden, da ansonsten eine zu große Unsicherheit für die Unternehmen entstehe und sich die Länge des Zulassungsprozesses verdoppeln könne. Bei der Durchführung klinischer Studien schlug Schöwel zahlreiche Verbesserungen vor. Die Einreichung und finale Bewertung eines einzigen Antrages sollte die aufwändigen und bürokratischen Mehrfachbewertungen durch alle betroffenen Länderbehörden ersetzen. Die Bewertung sollte nur durch eine Länderbehörde stattfinden. Schöwel: "Das Ziel sollte lauten: Einmal beantragt, einmal genehmigt, überall genehmigt." Außerdem sprach sich Schöwel für die Einführung von auf europäischer Ebene akkreditierten nationalen Ethik-Kommissionen aus. Auch hier sollte das Ziel sein, dass ein Ethikvotum reichen müsse. Die Mehrfachbewertung durch viele nationale behördliche und klinikinterne Ethik-Kommissionen sollte abgeschafft werden.
Anmerkung: Alle Jahre wieder findet in der ersten Novemberhälfte traditionell eine Veranstaltung des BVMed zu neuen Regelungen des Medizinprodukterechts statt, dieses Jahr bereits zum 18. Mal. Während in den frühen Jahren auch regelmäßig Medizintechniker/Mediziningenieure aus Kliniken zu den Teilnehmern und teilweise auch zu den Vortragenden gehörten, dient die Veranstaltung inzwischen in erster Linie dem Erfahrungsaustausch zwischen Behörden- und Unternehmensvertretern, um sich über die Anwendung der gesetzlichen Neuerungen und die Schnittstellen der Zusammenarbeit im Bereich der Medizinprodukte zu verständigen. Vor diesem Hintergrund können die Ergebnisse dieser Konferenz nicht ausgewogen sein. "Wir haben kein Regelungs-, sondern ein Vollzugsdefizit", lautete beispielsweise ein Statement der "Experten". Wenn dies denn stimmt, lägen die Defizite aber in erster Linie bei den Herstellern selbst, nicht bei Behörden, Benannten Stellen oder Kliniken. Zu viele der Hersteller sind in der Vergangenheit ihren eigentlich selbstverständlichen Pflichten nicht nachgekommen: Konstruktion und Fertigung wirksamer und sicherer Produkte entsprechend einer definierten Zweckbestimmung, Planung und Durchführung methodisch sauberer Klinischer Prüfungen mit einem voraussichtlich positiven Verhältnis von Patientennutzen zu möglichen Komplikationen sowie eine inhaltlich angemessene und verzögerungsfreie Reaktion auf Sicherheitsprobleme und Qualitätsmängel bei Mediziprodukten in der Anwendung. Insofern sind die Klagen der Herstellerkreise über zusätzlichen Aufwand und weitere Kosten zwar verständlich, der Kern des Problems für die ganze Bescherung liegt aber eindeutig in ihren eigenen Reihen. Abgesehen davon: Wir haben doch wohl nicht nur ein Vollzugsdefizit, sondern ganz offensichtlich auch ein strukturelles und qualitatives Regelungsdefizit. Wir brauchen nicht mehr Regelungen, sondern wirkungsvolle.
*) Redaktionelle Anmerkung: Diese These ist umstritten. Sehr interessant in diesem Zusammenhang ist folgender Beitrag:
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