EU-Rat hat geplante Vorschriften für Medizinprodukte diskutiert
von Rudi Wuttke
Das Medizinprodukterecht bleibt eine unendliche Geschichte
Schön, dass die wichtigen Leute mal wieder darüber gesprochen haben: Das leidige Thema Medizinprodukte stand beim Treffen der Gesundheitsminister der EU-Länder am 1. Dezember 2014 in Brüssel weit oben auf der Tagesordnung. Die beiden geplanten neuen EU-Verordnungen bleiben auch 2015 auf der Agenda, voraussichtlich sogar auch noch 2016.
Die Ziele des Rates bleiben ambitioniert, obwohl sich die bisherigen Beratungen über das vielschichtige und hochkomplexe Feld der Medizinprodukte als sehr schwierig und langwierig erwiesen haben. Die Sicherheit der Patienten und der schnelle Zugang zu Innovationen werden als besonders wichtig herausgestellt: „Our aim is to ensure the highest level of protection for European patients and to allow safe and innovative medical products and medical devices to be placed on the market rapidly", formulierte es Beatrice Lorenzin, die italienische Gesundheitsministerin. Noch nicht klar ist aber, wie man diesen Spagat überhaupt schaffen kann.
Brüsseler Aktionismus ohne wirklich zielführende Ergebnisse
Unter dem italienischen Ratsvorsitz wurden zwar eine ganze Reihe von Veranstaltungen durchgeführt, die in einem Sachstandsbericht vom 26. November 2014 dargestellten Ergebnisse sind jedoch ernüchternd, obwohl insgesamt elf Sitzungen der Gruppe „Arzneimittel und Medizinprodukte" und zwei Expertensitzungen veranstaltet wurden.
Zahlreiche Themenfelder, in denen weitere Diskussionen dringend erforderlich sind, hat der Vorsitz explizit benannt, u.a. das System der einmaligen Produktnummer (UDI), die benannten Stellen, die geplante Koordinierungsgruppe Medizinprodukte und die Überwachung nach dem Inverkehrbringen. Auch auf anderen Gebieten sind zahlreiche „politische Fragen" deutlich geworden.
Mehrheit für Einbeziehung bestimmter Kosmetikprodukte, obwohl diese weder Nutzen noch Zweckbestimmung aufweisen
Um eine Rechtsgrundlage für einen besseren Schutz der Gesundheit zu schaffen, hat die Kommission vorgeschlagen, einige Kosmetikprodukte in den Geltungsbereich der vorgeschlagenen Verordnung über Medizinprodukte einzubeziehen. Solche Produkte ähneln zwar Medizinprodukten, dienen aber nicht medizinischen, sondern ästhetischen Zwecken. Ein Beispiel hierfür sind getönte Kontaktlinsen, die verwendet werden, um das Aussehen einer Person zu ändern und nicht, um eine Sehschwäche zu korrigieren. Der Ausschuss der Ständigen Vertreter hat diese Frage am 19. November 2014 erörtert: 15 Delegationen befürworten eine Ausdehnung des Geltungsbereichs der Medizinprodukte-Verordnung auf Kosmetikprodukte. Fünf Delegationen sind aus grundsätzlichen Erwägungen dagegen, da Kosmetikprodukte aus ihrer Sicht keinerlei medizinischen Nutzen haben und sich deshalb kein Risiko-Nutzen-Verhältnis ermitteln lässt. Hier wird eine Kompromisslösung angestrebt.
Einmalige Produktnummer (UDI) erfordert weitere Beratungen
Mit dem UDI-System und damit zusammenhängenden Fragen hat sich der Ausschuss der Ständigen Vertreter am 19. November 2014 befasst. Zehn Delegationen sind für ein System, das in etwa dem von der Kommission vorgeschlagenen entspricht (z.B. Festlegung der Einzelheiten der Anwendung des Systems im Wege von Durchführungsrechtsakten), wohingegen acht Delegationen ein Alternativsystem vorziehen und wollen, dass mehr Einzelheiten dieses Systems in den Verordnungen selbst geregelt werden. Einige Delegationen, die das Kommissionskonzept befürworten, stehen der europäischen Nomenklatur für Medizinprodukte, die Teil des Vorschlags für ein Alternativsystem ist, aufgeschlossen gegenüber. Der Kommissionsvertreter hat eingewandt, dass beim Alternativsystem keine Rückverfolgung möglich ist.
Verantwortung für benannte Stellen soll bei Mitgliedstaaten bleiben
Die vorliegenden Vorschläge haben vor allem das Ziel, die Überwachung der benannten Stellen durch die zuständigen Behörden und die Überwachung der Hersteller durch die benannten Stellen zu verschärfen. Dies soll in erster Linie dadurch erreicht werden, dass die Anforderungen für die Benennung der Stellen klarer gefasst und verschärft werden und der Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten verstärkt wird, um die Anforderungen an die benannten Stellen noch stärker zu harmonisieren. Dabei soll die Verantwortung für die benannten Stellen bei den Mitgliedstaaten verbleiben und nicht auf die Union übergehen. Hauptstreitpunkt ist die Frage, wie detailliert die Rechtsvorschriften sein sollen und was infolgedessen besser Gegenstand von Leitlinien sein sollte.
Kontroversen zum Kontrollmechanismus für Hochrisikoprodukte
Eine „Koordinierungsgruppe Medizinprodukte" soll die vorläufige Konformitätsbewertung einer benannten Stelle bei in die höchste Risikoklasse eingestuften Produkten überprüfen dürfen, bevor eine Prüfbescheinigung erteilt wird und das Produkt in Verkehr gebracht werden kann. Nahezu alle Delegationen sind der Meinung, dass das von der Kommission vorgeschlagene Prüfverfahren nicht praktikabel ist. Viele Delegationen vertreten die Auffassung, dass eine verstärkte Marktüberwachung und Vigilanz bei bereits in Verkehr gebrachten Produkten effizienter sind als Maßnahmen vor dem Inverkehrbringen, und halten deshalb einen dem Inverkehrbringen vorgelagerten Kontrollmechanismus für überflüssig, wohingegen einige Delegationen einen solchen Mechanismus für implantierbare Produkte der höchsten Risikoklasse (Produkte der Klasse III) einführen möchten. Ein möglicher Kompromiss ist am 19. November 2014 im Ausschuss der Ständigen Vertreter erörtert worden. Dabei hat sich gezeigt, dass einige Delegationen strikt dagegen sind, dass ein Teil der Verantwortung, die von den benannten Stellen wahrgenommen wird, auf die zuständigen Behörden übergeht. Andere Delegationen fordern hingegen, dass die zuständigen Behörden mehr Möglichkeiten erhalten sollen, um bereits vor dem Inverkehrbringen der Produkte in die Konformitätsbewertung einzugreifen. Weitere Beratungen sind nötig, welche Anforderungen ein solcher dem Inverkehrbringen vorgelagerter Kontrollmechanismus erfüllen und worauf er sich erstrecken soll.
Für Aufbereitung von Einmalprodukten deutet sich eine Lösung an
Der Kommissionsvorschlag sieht Regeln für die Aufbereitung von Einmalprodukten vor, damit diese in der Union weiterverwendet werden können. Hierunter fällt beispielsweise auch, dass ein Produkt in einem Krankenhaus aufbereitet und anschließend im selben Krankenhaus wiederverwendet wird. Während einige Mitgliedstaaten die Aufbereitung von Einmalprodukten vollständig verbieten wollen, befürworten andere weitgehend harmonisierte Regeln für die Aufbereitung. Nach Einschätzung des Vorsitzes wäre ein Kompromissvorschlag, wonach die Mitgliedstaaten die Aufbereitung in ihrem nationalen Recht verbieten dürfen, aber wenn sie dies nicht tun, die Aufbereitung nach harmonisierten Mindestvorschriften erfolgen muss, für eine breite Mehrheit akzeptabel (Einzelheiten auch zu weiteren Themenfeldern finden sich im Sachstandsbericht des Generalsekretariats des Rates vom 26. November 2014, siehe unten).
Der lettische Ratsvorsitz löst im Januar 2015 den italienischen ab. Ab Anfang 2015 werden auch bei der EU-Kommission die Medizinprodukte dem Industrieressort zugeordnet, statt bisher dem Gesundheitsressort. Die Regelungen für Medizinprodukte bleiben ein brisantes Thema, ob noch ohne oder schon mit den beiden neuen EU-Verordnungen, welche dann direkt in den Mitgliedstaaten Gültigkeit erlangen.
PRESS RELEASE:
3351st Council meeting, Brussels, 1 December 2014,
Employment, Social Policy, Health and Consumer Affairs, Health
http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/docs/pressdata/en/lsa/145987.pdf
Sachstandsbericht:
Vorbereitung der Tagung des Rates (Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz) am 1. Dezember 2014,
Entwürfe Verordnungen Medizinprodukte/In-vitro-Diagnostika,
16116/14, Generalsekretariat des Rates, 26. November 2014
http://www.parlament.gv.at/PAKT/EU/XXV/EU/04/81/EU_48113/imfname_10514209.pdf
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