Elektrodenloser Mini-Herzschrittmacher verursacht schwere Komplikationen

von Rudi Wuttke

Perikardergüsse nach Perforationen des rechten Ventrikels

Komplikationen bei der Implantation des neuen elektrodenlosen Hoffnungsträgers Nanostim von St. Jude Medical haben der Euphorie der Kardiologen für diese hochinnovative Technologie erst einmal einen kräftigen Dämpfer verpasst. Der Hersteller musste die im Frühjahr 2014 in Europa gestartete klinische Post-Market-Studie „Leadless Pacemaker Observational Study" unterbrechen und wartet nach der Vorlage korrektiver Maßnahmen auf Genehmigungen von Ethikkommissionen und Behörden.

Bereits am 9. September 2014 hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) unter seiner Referenznummer 4254/14 eine Korrektive Maßnahme des Herstellers St. Jude Medical für den Nanostim Leadless Pacemaker und das zugehörige Einführbesteck veröffentlicht, die es in sich hat [1]. Nach der Bekanntmachung führt das Unternehmen eine „freiwillige korrektive Sicherheitsmaßnahme im Feld" durch. Hintergrund sind unerwünschte Ereignisse in Form von Perikardergüssen durch Perforationen der rechten Kammerwand bei der Implantation, welche im Rahmen des Post Market Clinical Follow up (PMCF) festgestellt worden sind. Zu den Faktoren, die einen Perikarderguss begünstigen können, zählen nach den Angaben des Unternehmens unter anderem die Patientenselektion und die Implantationstechnik.

Verschiedene korrektive Sicherheitsmaßnahmen wie eine Überarbeitung der Gebrauchsanweisung, eine Anpassung des Studienprotokolls sowie eine Nachschulung der implantierenden Ärzte konnten teilweise bereits abgeschlossen werden. Last not least erfordert die Wiederaufnahme der Studie noch Genehmigungen von lokalen Ethikkommissionen und zuständigen Behörden.

Konkreter und deutlicher als der Hersteller in seiner Mitteilung ist kürzlich bei seinem Vortrag auf der Herbsttagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie in Düsseldorf Privatdozent Dr. med. C. Butter aus Bernau bei Berlin geworden [2,3], der übrigens vor einigen Jahren erstmals in Deutschland ein spezielles kabelloses Stimulationssystem auf Ultraschallbasis implantiert hat. Danach sind bisher sechs Perforationen und zwei Todesfälle aufgetreten. Das Unternehmen St. Jude soll seine Analysen und Bewertungen zu den Ereignissen sowie seine vorgesehenen korrektiven Maßnahmen bereits beim BfArM eingereicht haben.

Der „Schwarze Peter" liegt nun beim BfArM

Der Hersteller hat inzwischen eine deutlich überarbeitete Gebrauchsanweisung vorgelegt. Zunächst hat er die Angaben zu den kontraindizierten Lungenerkrankungen präziser ausgeführt. Dann hat er die Kontraindikationen ergänzt um Zustände nach Herz-Kreislauf-Eingriffen und nach Perforationen sowie nach Elektrodenextraktion mit Entfernung von Myokardgewebe. Ein Eingriff setzt nun eine hochauflösende Fluoroskopie-Anlage mit bestimmten Möglichkeiten der Bildverarbeitung voraus. Verschiedene neue Warnhinweise sollen die Positionierung des Führungskatheters und die Verankerung des Schrittmachersystems verbessern. Ein abschließender Warnhinweis konkretisiert die elektrischen Daten, welche auf das Vorliegen einer Perforation hindeuten.

Handelt es sich bei den Sicherheitmängeln nun um einen weitere Folge der Thematik „Medizinprodukte-Schrott im Körper", welche seit einigen Jahren in den Medien in kurzen Abständen immer wieder gern aufgegriffen wird?

Aus zwei Gründen scheint dies nach momentaner Informationslage nicht der Fall zu sein:
1. Es handelt sich zunachst einmal um Komplikationen auf der Grundlage eines abgegrenzten und überschaubaren mechanischen Problems bei der Verankerung, welches lösbar erscheint (selbst dann, wenn Änderungen bei der Anwendung und Hinweise zur Sicherheit allein nicht ausreichend sein sollten, was in Betracht zu ziehen ist). Es gibt einen sehr ähnlichen Mini-Herzschrittmacher eines anderen Herstellers, Micra von Medtronic, der sich noch in der klinischen Prüfung befindet, d.h. im Gegensatz zum Nanostim-System von St. Jude Medical noch keine CE-Kennzeichnung aufweist. Während der Nanostim-Generator in das Muskelgewebe der rechten Kammer eingeschraubt wird, erfolgt die Verankerung des Micra-Pacemakers über vier steuerbare gebogene Haken im Trabekelwerk der rechten Kammer [4]. Bisher liegen keine Hinweise darauf vor, dass auch bei dieser anderen Art der Fixierung Perforationen auftreten (allerdings liegen hierzu noch keine endgültigen Ergebnisse vor).
2. Das Prinzip der elektrodenlosen Mini-Herzschrittmacher, die mit einem speziellen Katheter über eine Vene ohne Operation platziert werden, verspricht gegenüber den bisherigen konventionellen Schrittmachern zahlreiche Vorteile [4,5]. Der operative Eingriff zur Implantation des Aggregats unter dem Schlüsselbein entfällt. Die isolierten Leitungen vom Aggregat zum Herzmuskel, eine wesentliche Schwachstelle der bisherigen Stimulationstherapie, sind nicht mehr erforderlich, da der Impulsgenerator selbst in der Spitze der rechten Herzkammer verankert wird. Auch werden bei der elektrodenlosen Therapie weniger Infektionen erwartet.

Die Komplikationen treten vor allem bei der Prozedur auf

Schwierig ist die Beantwortung der Frage nach der Ursache. Handelt es sich in erster Linie um ein Prozedur- oder um ein Produktproblem? Weil die Ereignisse während der medizinischen Prozedur der Verankerung entstehen, ist ein Prozedurbezug naheliegend. Daher ist es nachvollziehbar, dass der Hersteller zunächst versucht, mit Änderungen der Bedienungsanleitung und Schulungen der Anwender die Schwierigkeiten in den Griff zu bekommen. Es ist zu wünschen, dass ihm dies gelingt. Allerdings bleiben diesbezüglich einige Unsicherheiten und Zweifel, trotz der neuen Warnhinweise und Schulungen. Die Tatsache, dass die Ereignisse im Rahmen einer Applikation auftreten, schließt prozedurbezogene Produktmängel nicht aus. Dann wären konstruktive Korrekturen eigentlich überfällig. Denn schon in der Zulassungsstudie [6], bei der trotz der revolutionären Technologie lediglich 33 Patienten und ein relativ kurzer Zeitraum von 90 Tagen für ausreichend angesehen wurden, gab es bereits genau einen solchen Zwischenfall wie bei den jetzigen Ereignissen. Deutlich glimpflicher ging ein zweites Ereignis aus, bei dem der Schrittmacher einem Patienten mit Foramen ovale versehentlich in der linken Kammer implantiert wurde, statt in der rechten [6].

Was die Sicherheit der Technik angeht, ist das Medizinprodukterecht übrigens deutlich besser als sein Ruf: Es sieht für die Medizinprodukte definitiv eine „integrierte Sicherheit" vor. Leider wird dieser Grundsatz nicht konsequent verfolgt. Auch andere elektrodenlose kardiologische Imlpantate wie zur kardialen Resynchronisation oder zur Defibrillation haben sich bereits auf den Weg in eine klinische Anwendung gemacht [4]. Die Herausforderungen bei der An- und Abkopplung der Technik an die Biologie werden daher noch an Bedeutung zunehmen. Der Wert der neuen Lösungen wird für permanente Anwendungen auch daran gemessen werden, wie einfach und sicher ihr Austausch erfolgen kann.


Literaturhinweise

[1]
Wichtige Informationen zu einem Medizinprodukt
NanostimTM Leadless Pacemaker und Einführbesteck, Modell S1DLCP
http://www.bfarm.de/SharedDocs/Kundeninfos/DE/01/2014/4254-14_Kundeninfo_de.pdf?__blob=publicationFile&v=1

[2]
C. Butter: Leadless pacing: bald eine klinisch anwendbare Therapieoption? 
Vortrag am 10. Oktober auf der DKG-Herbsttagung 2014
(zitiert nach Tagungsbericht in der Zeitschrift Cardiovasc, 2014/5, Oktober 2014, S.12: Rückschlag für elektrodenfreien Mini-Herzschrittmacher. Komplikationen erfordern Anwendungstopp)

[3]
Kabelloser Herzschrittmacher erstmalig in Deutschland implantiert
http://www.vekp.de/Navigation/Krankenhaeuser/Brandenburg/Einrichtungen/Immanuel%20Klinikum%20Bernau%20Herzzentrum%20Brandenburg/VEK%20Pressemitteilung_1304331503

[4]
Sperzel, Johannes; Hamm, Christian W.: Herzschrittmachertherapie: Zukünftig ohne Elektroden
Dtsch Arztebl 2014; 111(15): [8]
http://www.aerzteblatt.de/archiv/158701/Herzschrittmachertherapie-Zukuenftig-ohne-Elektroden?src=search

[5]
Herzschrittmacher: Intrakardialer Pulsgenerator
Dtsch Arztebl 2013; 110(47): A-2284 / B-2009 / C-1944
http://www.aerzteblatt.de/pdf.asp?id=149854

[6]
Vivek Y. Reddy u.a.: Permanent Leadless Cardiac Pacing: Results of the LEADLESS Trial
Circulation. 2014;129:1466-1471 (originally published online March 24, 2014)
https://circ.ahajournals.org/content/129/14/1466.full.pdf+html

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