Wer nur einen Hammer besitzt, …
von Ingo Nöhr
- Na, Jupp, was wünschst du dir denn vom neuen Jahr?
Jupp zog ein bekümmertes Gesicht, was nicht nur auf die durchzechte Silvesternacht zurückzuführen war.
Das endlich mal die Dummheit in der Welt abnimmt. Wo du hinschaust: Parteipolitiker, Staatslenker, Gesundheitsprofis, ja sogar bei den Sportlern - überall springt dir die Dummheit schmerzhaft in die Augen. Konfuzius hat mal gesagt: „Wer einen Fehler gemacht hat und ihn nicht korrigiert, begeht einen zweiten“. Wir sind Heerscharen von Führern und Meinungsmachern mit beschränktem Horizont ausgeliefert, die partout nicht aus alten Fehlern lernen können oder wollen. Es ist unglaublich, was sie im letzten Jahr wieder für einen Schaden in der Gesellschaft angerichtet haben.
- Jupp, das wird sich nie ändern. Albert Einstein hat schon damals kapituliert: „Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit. Aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.“
Auf der MEDICA ist am KKC-Stand das Grundproblem bildlich dargestellt worden: die innovative Diebstahlsicherung. Damit der Laptop nicht geklaut wird, nagelt man ihn einfach auf ein Brett, getreu nach der Parole von Paul Watzlawik: Wer nur einen Hammer besitzt, für den sieht jedes Problem wie ein Nagel aus.
- Ja, das sind wir leider unserem Spezialistentum geschuldet. Wer überschaut denn noch im Ansatz die Folgen von Technologien und Innovationen? Jeder Experte weiß bald alles von Garnichts.
Ingo, das ist ganz schlimm bei unseren Ärzten. Unklarer Bauch, Kopfschmerzen, Brust- oder Rückenschmerzen? Die medizinische Behandlung hängt meistens davon ab, welchem Facharzt man in die Hände fällt. Wenn du mal in einschlägigen Internetportalen die Odysseen von Patienten verfolgst, die aufgrund unklarer Diagnosen eine Horrortournee durch die verschiedenen Fachdisziplinen hinter sich gebracht haben, kannst du nur staunen. Bis zu 16 Ärzte befassten sich in dokumentierten Fällen mit verzweifelten Patienten. Je nach Spezialist wurden sie aufgrund deren Diagnosen unnötigen und meist unwirksamen Therapien unterzogen, oft mit erheblichen Schädigungen. Das Gesundheitsministerium geht von 40.000 bis 170.000 Behandlungsfehlern im Jahr aus. Das ist doch ein Skandal!
- Aber Jupp, da bist du noch nicht auf die Grundursache gestoßen. Ich halte diese Entwicklung für eine ungewollte Nebenwirkung unseres Regulierungssystems. Ein ausgesprochenes Prachtexemplar für solche sichtbehinderten Handwerker sind die Juristen bei den Gesetzgebern in Deutschland und Europa, die zuverlässig für ein unbegrenztes Wachstum der Bürokratie sorgen. Eine Untersuchung von knapp 700 Gesetzen der letzten schwarz-gelben Regierungskoalition war ernüchternd: 76% steigerten die Bürokratiekosten, 58% wurden nach kurzer Zeit wieder geändert, 50% waren sprachlich unverständlich.
Ja, aber das haben sie doch mittlerweile selbst gemerkt. Die Industrie weicht immer mehr ins Ausland aus, wenn sie investieren will.
- Klar, Angela Merkel rief daraufhin eine Kampagne des Bürokratieabbaus ins Leben. In einem Jahr erhöhte sich bei einer Entlastung von 0,66 Mrd € leider der Erfüllungsaufwand um 1,5 Mrd €. Es entstanden einmalige Bürokratiekosten von 4,36 Mrd € mit einer dauerhaften Belastung von 2,16 Mrd €.
Das überrascht mich nicht, Ingo. Das Parkinsonsche Gesetz ist weiterhin gültig. Jeder Beamte hat das Ziel, die Zahl seiner Untergebenen zu vergrößern. Und sie schaffen sich gegenseitig Arbeit.
- Ja, aber die Ergebnisse sind fast immer kontraproduktiv und schädlich für die Gesellschaft. Nimm mal das deutsche Einkommensteuerrecht: 260 Änderungen in den letzten 50 Jahren, darunter fallen etwa 500 Ausnahmeregelungen. Was hat es gebracht? Das Ergebnis dieser Regulierungen sind 9 Millionen Schwarzarbeiter, die mittlerweile einen Jahresumsatz von 340 Milliarden Euro erwirtschaften. Das sind 12% der deutschen Wirtschaftskraft; zum Vergleich: 640 Mrd € Euro an Steuern zahlen die braven Bürger in 2014. Ein Heer von 90.000 Steuerberatern lebt davon, dieses längst verfassungswidrige Steuerrecht mit gewaltigen Kosten weiter umzusetzen.
Die EU-Bürokraten schreiben ab 2016 Schockbilder auf Zigarettenschachteln vor, um die Anzahl der jährlich 700.000 Tabakopfer zu minimieren. Meinen sie das wirklich ernst? Warum verbieten sie dann nicht einfach den Tabakanbau und –verkauf wie bei den alten Glühbirnen und den energiefressenden Staubsaugern? Schließlich darf man hierzulande auch keine Mohn- oder Hanfplantagen anlegen, um Drogen herzustellen!
- Kurzer Einwurf, Jupp. Vielleicht ändert sich die Situation aufgrund einer EU-Richtlinie. Seit September 2014 steigert Drogenhandel und Zigarettenschmuggel statistisch gesehen das Bruttoinlandsprodukt.
Das ist doch mal ein positiver Effekt. Im Schnitt verursacht ein schlanker Nichtraucher mit einer Lebenserwartung von 85 Jahren 60.000 € höhere Gesundheitskosten als ein sieben Jahre früher sterbender Raucher. Jährlich ersparen die 110.000 Rauchertoten dem deutschen Staat also durch ihr frühzeitiges Ableben enorme Ausgaben in der Renten-, Pflege- und Krankenversicherung. Zudem spülen die Raucher jährlich 14 Mrd.€ zusätzliche Tabaksteuereinnahmen in die Staatskasse. Damit könnte man den Gesamtetat des Ministeriums für Bildung und Forschung finanzieren.
- Ich habe auch ein paar Beispiele für umweltschädliche Effekte durch die Gesetzgebung. Anfang 2003 führte „Mister Dosenpfand“ Jürgen Trettin eine Umweltabgabe auf Einwegverpackungen ein. Statt sie dadurch aus dem Markt zu verdrängen, steigerte er ihren Marktanteil von 40% auf 80%.
Ingo, das dürfte auch schon dem dümmsten Verbraucher im Supermarkt aufgefallen sein. Recycling? Warum werden dann die angeblichen Mehrweg-PET-Flaschen im Rückgabeautomaten sofort zerquetscht?
- Es geht noch eine Nummer größer, Jupp. Die Juristen der Bundesregierung hämmern nun an der siebten Novelle zur Verpackungsordnung, nachdem das Duale System Deutschland und der Grüne Punkt als grandios gescheitert gelten. Denn leider hat der Anteil der verpönten Kunststoffverpackungen in den vergangenen Jahren um 25% zugenommen. Zwei Drittel des gesammelten Mülls werden in den Müllverbrennungsanlagen verheizt statt recycelt. Die Lehre aus diesem Flop: eine neue Verordnung. Der Gesetzgeber kann ja nichts anderes, als juristische Akte zu erlassen.
Mir kommt das vor, als ob er mit seinem Hammer und Nagel elektronische Schaltungen optimieren will. Der Jurist ist mit dem Verständnis von komplexen Systemen rettungslos überfordert und der Politiker den Einflüsterungen der Lobbyisten ausgeliefert. Deswegen wird man auch den Spagat zwischen Sicherheit und Innovationsfähigkeit bei Medizinprodukten nicht schaffen. Schau mal nur die letzte Novelle der Betreiberverordnung vom Dezember 2014: In § 3 Instandhaltung von Medizinprodukten heißt es neuerdings: „Die Instandhaltung von Medizinprodukten umfasst insbesondere Instandhaltungsmaßnahmen und die Instandsetzung. Instandhaltungsmaßnahmen sind insbesondere Inspektionen und Wartungen, die erforderlich sind, um den sicheren und ordnungsgemäßen Betrieb der Medizinprodukte fortwährend zu gewährleisten.“
So weit so gut. Zu den Inspektionen zählen auch unsere bisherigen sicherheitstechnischen und messtechnischen Kontrollen. Und so kommt es jetzt knüppelhart: „Die Instandhaltungsmaßnahmen sind unter Berücksichtigung der Angaben des Herstellers durchzuführen, der diese Angaben dem Medizinprodukt beizufügen hat.“ Kannst du mir mal erklären, wie man von einem außereuropäischen Hersteller diese Informationen erhalten soll? Der kennt doch die deutsche Betreiberverordnung überhaupt nicht.
- Jupp, das sind doch seit Jahren nur noch Alibiregelungen. Die Innovationen auf dem Medizinproduktesektor, insbesondere durch die Kopplung mit den IT-Technologien lassen sich in der klassischen Weise nicht mehr regulieren. Selbst die Normung kommt nicht mehr nach. Wer will denn die Einhaltung aller Vorschriften überhaupt noch überwachen?
Ja, Ingo, siehst du irgendeine Nachfolge für dieses längst veraltete Regulierungssystem?
- Ich habe kein Patentrezept, aber vielleicht hilft uns eine strikte Fehlerkultur und intensive Risikokommunikation weiter. Jede Beobachtung eines schädlichen Effektes sollte sofort analysiert und publiziert werden, damit alle Entwickler, Produzenten, Anwender und Überwacher über die Schwachstellen informiert werden und zeitnah reagieren können.
Hört sich gut an, Ingo. Intensive und ungefilterte Kommunikation, damit die Hammer-Nagel-Experten auch mal über ihren Tellerrand schauen.
Das wäre doch ein schönes Motto für das Jahr 2015: Redet mehr miteinander! Lernt von den anderen!
Einen Kommentar schreiben