Welches Risiko – meins oder deins?
von Ingo Nöhr
Jupp, lass uns mal wieder über Risikomanagement reden. Eine große Klinik im Badischen lieferte gerade ein schönes Beispiel dafür.
- Ach Ingo, für die kommt doch das Risikomanagement viel zu spät. Die brauchten ein Krisen- und Katastrophenmanagement viel nötiger. Die Hinrichtungen durch die Medien waren doch schon in vollem Gange.
Na ja, die haben bei der Betrachtung ihrer Risiken sicherlich irgendetwas übersehen. Der Risikofaktor setzt sich ja bekanntlich aus der Verknüpfung von Schadenshäufigkeit und Schadensschwere zusammen. Der GAU dieser Klinik ist der komplette Reputationsverlust durch den Skandal, ausgelöst durch einige kleinere Vorkommnisse bei der Hygiene, wie sie auch in vielen anderen Krankenhäusern eigentlich ständig vorkommen.
- Ingo, hier kommen einige erschwerende Faktoren hinzu, zum Beispiel die Wahrscheinlichkeit der Aufdeckung dieser Missstände. Jahrelang haben wohl die Ärzte und Pflegekräfte nur intern gemeckert, bis aufgrund der permanenten Ignoranz der Geschäftsleitung das Fass überlaufen ist. Dann setzte ein Lawineneffekt ein, gespeist durch die Wut der Mitarbeiter. Interessanterweise spielt dabei das an sich wünschenswerte CIRS-Fehlermeldesystem eine verschärfende Rolle.
Wieso eigentlich? Diese anonymen Meldesysteme sind doch ein probates Mittel zur Risikoerkennung und –minderung und seit Februar gesetzlich vorgeschrieben.
- Aber nur, wenn es auch ernstgenommen wird und nicht nur als Show-Effekt installiert wurde. Das CIRS wurde seit Jahren mit Warnmeldungen über Hygienemängel gefüttert, aber es passierte einfach nichts. Alle Vorsprachen bei der Klinikleitung blieben erfolglos, denn dem Anschein nach besaß die Erreichung eines maximalen Profits wohl absolute Priorität. Eine simple Weitergabe des Zugangspasswortes an einen Journalisten reicht jedoch aus, um die komplette Dokumentation aller Mängel im Haus nach außen offenzulegen. Eine Fundgrube für Artikelserien in den Boulevard-Blättern. NSA-Snowdon läßt grüßen!
Jupp, vielleicht hat der Geschäftsführer nur sein eigenes, sozusagen individuelles Risikobewertungsverfahren angewendet. Da wir Deutschen ja schon seit langem mit zigtausend Hygienetoten pro Jahr zu leben gelernt haben, hat er das Entdeckungs- und Schadensrisiko gegen den politischen Nutzen einer Gewinnmaximierung aufgerechnet. Der strahlende Sonnenschein seines wirtschaftlichen Erfolgs überdeckte all die kleinen Schönheitsfehler im Klinikbetrieb. Es hat ja jahrelang wunderbar funktioniert.
- Ingo, das ist doch kalter Kaffee. Die Atomindustrie hat es uns doch längst seit zwei Generationen vorgelebt: Entsorgung? - Sache der nächsten Generationen. Massive Baumängel bei öffentlichen Bauten? - da kümmert sich der Staat schon später drum. Und unsere Casinozocker in den Banken? - der Steuerzahler wird‘s schon richten.
Jetzt jammern sie alle, dass die schönen Zeiten des Geldscheffelns ohne Risiko vorbei sind. Die hässliche Seite des Erfolgs war trotz kreativer Risikobuchhaltung letztendlich nicht mehr zu verstecken.
- Du hast recht, Ingo. Das Risikomanagement steht immer im Konflikt mit der Kosten – Nutzen – Betrachtung. Der pekuniäre Nutzen, sprich Gewinn, wird schnell sichtbar und wird der Managementleitung zugerechnet. Die Kosten aber, sprich Verluste, müssen dann die Nachfolger übernehmen, im „systemrelevanten“ Fall der Steuerzahler.
Deswegen, das Risikomanagement der Banken funktioniert nach dem Lehmann-Kollaps nach einer neuen Prämisse. Es droht keine Pleite mehr im schlimmsten Fall. Als Gangster muss du einfach nur „too big to fail“ werden, dann kann dir nichts passieren, Jupp.
- Oder rechtzeitig den Abgang schaffen und vorher noch die Meriten abräumen. Uraltes Rezept, funktioniert auch in anderen Branchen. Dumm ist es nur gelaufen, wenn dich die Folgen vorher erreichen, bevor du aussteigefertig bist.
Du meinst also, die klassische Risikobewertung wird durch eine egoistische Gewinnbetrachtung entwertet. Wie ein Roulettespieler setzt man seinen Einsatz auf ein persönlich gewinnbringendes Ereignis, überschätzt dessen Wahrscheinlichkeit und ignoriert das Risiko des Versagens, denn das trifft letztendlich die anderen. Dein Risiko ist nicht mein Risiko, oder so?
- Möglicherweise ist das auch die Kalkulation der islamistischen Selbstmordattentäter: nach dem explosionsartigen Ende ihrer kümmerlichen Existenz auf Erden warten im Paradies die 72 Jungfrauen auf sie. Der Einsatz von etwas Sekundenschmerz für ein ewiges Glück.
Wenn die Frauen nicht bereits alle schon von den anderen Märtyrern belegt sind. Und die neuen sich in eine endlose Warteschlange einreihen müssen. Oder aber die Jungfrauen sind schon seit Mohammeds Zeiten gealtert und überhaupt nicht mehr schön anzusehen.
- Bedrückende Aussicht, Ingo. Übertragen auf das Gesundheitswesen heißt das doch folgendes: Das Risikomanagement muss endlich anfangen, auch mal die verborgenen Prioritäten Einzelner und weitere nichttechnische Einflussfaktoren zu erfassen wie frustrierte und überlastete Mitarbeiter im Pflegebereich, inkompetente und fortbildungsunwillige Ärzte, selbstherrliche und beratungsresistente Führungskräfte. Dazu kommt noch die unwirksame Delegation von Verantwortlichkeiten, der Einsatz von unangepassten Technologien, die mangelhafte Kommunikation zwischen den Disziplinen, das dilettantische Krisenmanagement beim Zwischenfall, der falsche Umgang mit der Presse. Und der ständige Druck auf eine rein monetär bezifferbare Wirtschaftlichkeit. Wieviel Profit verträgt denn dann noch die Qualität?
Jupp, die gesamte Risikobetrachtung krankt doch letztendlich daran, dass man bei der Ursachenforschung nicht ehrlich genug an die wirkliche Quelle der Probleme herangeht: die Gesundheitseinrichtung als rentables Profitunternehmen? Stellt dieses kapitalistische Prinzip überhaupt noch jemand ernsthaft in Frage?
- So, als müßte unsere Feuerwehr jedes Jahr durch den Verkauf von Feuerlöschern und Erste-Hilfe-Kurse schwarze Zahlen schreiben. Und wenn es nicht klappt, wird einfach die Mannschaft reduziert.
Ja, die Welt hat sich leider zugunsten eines Raubtierkapitalismus geändert. Alles wird dem Geld untergeordnet. Christliches Abendland und der Charité-Gedanke waren mal. Jetzt heißt es Shareholder-Value. Schwarze Zahlen und hohe Renditen. Alles Störende wird dann rigoros weggedrückt.
- Aber wir sind doch selbst schuld. Voltaire hat einmal gesagt: In der einen Hälfte des Lebens opfern wir unsere Gesundheit, um Geld zu erwerben. In der anderen Hälfte opfern wir Geld, um die Gesundheit wiederzuerlangen.
Und dieses Dilemma führt zu reinen Alibiaktionen des Staates, auch anderswo. Anstatt viel Geld in die Kinder- und Jugendlichenbetreuung zu investieren, gibt er ein Vielfaches für die Bekämpfung der Kriminalität aus. Seine Antiterrorpolitik konzentriert sich nur noch auf die Bekämpfung der Symptome. Die Sicherheitsventile im gesellschaftlichen Kessel werden durch immer mehr Überwachungen, Strafen und Repressionen zwar verstärkt, aber die ständig heftiger brodelnden Feuer darunter nicht reduziert, geschürt durch Jugendarbeitslosigkeit, Altersarmut, Einwanderungsdruck, Demografie-Entwicklung. Das Desinteresse an Politikarbeit, die Flucht in virtuelle Welten, - dies sind alles Auswirkungen einer systematischen Verdrängung der wahren Ursachen. Bis der Kessel letztendlich explodiert.
- Unser Risikodenken greift zu kurz, da hast du wirklich Recht, Ingo. Es wird schon irgendwie klappen, lautet unsere Devise. Bisher läuft es doch ganz gut ... - sagte der Mann beim Sprung vom Hochhausdach - … kurz vor dem Aufprall.
In diesem Sinne, Jupp, lass uns in das neue Jahr 2015 springen und hoffen, dass dann endlich jemand ein Auffangnetz für uns Lemminge installiert hat. Auch allen unseren Lesern wünschen wir einen guten Sprung, äh ... Rutsch ins Neue Jahr.
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