Über das liebe Geld
von Ingo Nöhr
Der vergangene Monat Januar war vollgestopft mit aufregenden Neuigkeiten. Der Sturm auf das US-Kapitol, die Ablösung des Trump -Regimes, die hektischen Corona-Aktionen der Regierenden in Bund und Länder, das Impf-Chaos, der erneute Lockdown – die Ereignisse hätten für ein ganzes Jahr gereicht. Kein Wunder, dass unsere beiden Klinik-Rentner sich etwas genervt von dem Medienrummel abwenden und nun eher grundsätzlichen Themen zuwenden.
Ich begrüße dich weiterhin virtuell, lieber Ingo. Warten wir gemeinsam auf den irgendwann ankommenden Impfstoff und hoffen, dass wir uns dann endlich wieder einem relativ normalen Gesellschaftsleben zuwenden können – solange, bis uns die Klimakatastrophe erneut in Panik versetzen wird.
INGOs NÖHRgeleien, 1.2.2021
Über das liebe Geld
- Jupp, ich kann dir nachfühlen, dass dein pessimistisches Weltbild permanent gefüttert wird. Aber du erinnerst dich vielleicht an unsere vielen Diskussionen über das Ende des „immer weiter so“. Wir haben die Endphase unseres Wachstums erreicht, die ungebremste Gier nach Konsum und Luxus auf Kosten der natürlichen Ressourcen rächt sich. Jetzt stehen wir vor dem Abgrund und schauen verstört zurück.
Das verdanken wir der modernen Mentalität: Geiz ist geil. Von der vielbeschworenen Wertegemeinschaft unseres christlichen Abendlandes ist nichts mehr übriggeblieben. Die Menschen stürzen sich auf den Konsum, als wäre nichts gewesen. Der globale Versandhandel verzeichnet unglaubliche Steigerungsraten und beschleunigt dadurch den Untergang des Einzelhandels. Die Gewinner sind die 2189 Milliardäre weltweit, die ihren Reichtum allein im Corona-Jahr um 28 Prozent gesteigert haben.
- Jupp, erinnere dich an die Geschichte, die im 14. Jahrhundert in der Göttlichen Komödie von Dante anschaulich beschrieben wurde. Er hat zusammen mit dem römischen Dichter Virgil das Inferno mit seinen neun Kreise der Hölle besucht. Gleich drei Kreise widmen sich den menschlichen Lastern: der Wollust, der Völlerei und der Gier. Im Kreis Nummer zwei treffen sie auf die „fleischlichen Übeltäter“, die von der Lust überwältigt wurden. Sie werden verdammt, weil sie ihren Begierden erlaubten, ihr Leben zu beeinflussen. Im dritten Kreis werden die Vielfraße dafür bestraft, dass sie ihre Vernunft einem unersättlichen Appetit unterworfen haben. Im vierten Kreis finden sich gleich zwei Gruppen wieder: die Geizigen, darunter „viele Geistliche, Päpste und Kardinäle“, die Besitztümer horten sowie die Verschwender, die sie verprassen.
Ja Ingo, in diesen Höllen würdest du wohl einen Großteil unserer Bevölkerung wiederfinden. Ich kann mich noch an meinen Religionsunterricht erinnern. Dort war von den sieben himmlischen Tugenden die Rede: Demut, Mildtätigkeit, Keuschheit, Geduld, Mäßigung, Wohlwollen und Fleiß. Wie heißt es noch in der Bergpredigt: „Selig, ihr Armen, denn euch gehört das Reich Gottes.“ Und nicht die Zehn Gebote vergessen: „Du sollst nicht stehlen“ und „Du sollst nicht nach dem Haus deines Nächsten verlangen“. Eigentlich müsste unser lieber Papst Franziskus viel radikaler gegen unseren Raubkapitalismus vorgehen.
- Jupp, jetzt staune ich aber. Du bist richtig bibelfest geworden. Hast du dich in den letzten Wochen der katholischen Literatur gewidmet? In Krisenzeiten entdecken ja viele Menschen plötzlich die christliche Heilslehre wieder.
Mag sein, Ingo, ich habe eher aus Langeweile mal im Neuen Testament geschmökert und da viele Ratschläge für unsere heutige Zeit gefunden. Aber leider ist von unserem christlichen Weltbild nicht mehr viel übriggeblieben. Jesus sagt dort: „Ihr könnt nicht zwei Herren zugleich dienen: Gott und dem Mammon.“ Wir laufen wie die damaligen Israeliten längst dem goldenen Kalb, dem Götzen Baal hinterher und bauen ihm Konsumpaläste als Tempel.
- Uraltes Thema, Jupp. Schon vor 2.500 Jahren verkündete Sophokles: „Der ärgste Fluch des Menschen ist das Geld.“ Und Friedrich von Schiller bemerkte: „Und es herrscht der Erde Gott, das Geld.“ Es gibt einen guten Witz hierzu. Ein Gläubiger kommt in den Himmel und trifft dort nicht Petrus, sondern Luzifer. Als er sich erkundigt, ob er hier vielleicht in der falschen Veranstaltung sei, entgegnet Luzifer, nein, er sei hier völlig richtig, denn auch dort hätten sie schon längst fusioniert.
Die sieben Todsünden sind doch heutzutage praktisch nur noch Kavaliersdelikte. Karl Marx hat 1844 in der Frühschrift ›Nationalökonomie und Philosophie‹ gesagt, das Geld sei die sichtbare Gottheit, die Verwandlung aller menschlichen und natürlichen Eigenschaften in ihr Gegenteil, die allgemeine Verwechslung und Verkehrung der Dinge. Es verbrüdere Unmöglichkeiten. Es sei die allgemeine Hure, der allgemeine Kuppler der Menschen und Völker. Diese göttliche Kraft des Geldes liege in seinem Wesen als dem entfremdeten, entäußernden und sich veräußernden Gattungswesen des Menschen.
Wir sollten mehr die alten Klassiker lesen. Unseren Managern in Politik und Wirtschaft fällt in der Krise nichts anderes ein, als immer mehr Geld in das marode System hineinzupumpen. In Deutschland allein pumpen wir eine halbe Billion Euro in den Etat und verschulden uns immer tiefer - mit 7.000 Euro pro Sekunde. Von der USA mit ihren Billionen-Dollar schweren Hilfspaketen ganz zu schweigen. Wer soll das je zurückzahlen? Selbst unsere Urenkel werden diese Schulden nicht tilgen können.
Ich habe gerade eine Statistik gelesen: In den letzten 30 Jahren hat sich die globale Geldmenge gleichsam virtuell vervierzigfacht. Die reale Wertschöpfung hat sich in diesem Zeitraum jedoch nur vervierfacht. Also wird sich der Staat seiner Bürde ganz elegant wie bisher in jedem Jahrhundert durch eine Hyperinflation entledigen. Schau mal, wie viele Währungswechsel scheinbar stabile Nationalstaaten absolviert haben. Du wirst feststellen, dass die Umstellung auf andere Währungen im Schnitt alle zwei, drei Jahrzehnte stattfand.
- Klar, es gilt das Erfolgsprinzip: Mit anderer Leute Geld kann man das meiste Geld verdienen. In der modernen Wirtschaftstheorie werden Schulden gar nicht mehr als Schuld betrachtet, sondern als Investition und damit als eine Art Grundrecht der lebenden Generation, sich aus den vermuteten Schätzen der kommenden Generation zu bedienen. An Tilgung denkt im modernen Pumpkapitalismus niemand mehr. Das Fluten der Märkte mit billigem Geld führte dazu, dass etwa 80 bis 90 Prozent nicht in die reale Wirtschaft, sondern in die Finanzspekulation geht. Schon jetzt unterstützt der Staat mit unseren Steuergeldern nicht den Wohlfahrtsstaat, sondern die Spekulationsgeschäfte der Finanzmärkte. Too big too fail – systemrelevant.
Ingo, bei den Amerikanern kann man das sehr gut sehen: Bei ihnen denkt seit langem niemand mehr darüber nach, wie man die sagenhafte Staatsschuld von 22 Billionen Dollar tilgen könnte. Die weltweite Geldmenge an Banknoten und Münzen beträgt gerade mal 5 Billionen Dollar. Zwar reden viele vom Sparen, aber im heutigen Sprachgebrauch meint das, die Neuverschuldung zu verringern. Meine Großmutter hat den Begriff des Sparens noch ganz anders interpretiert. Früher hat man unter Sparen verstanden, dass etwas beiseitegelegt wird. Heute benutzen die Finanzminister das Wort, um sich selbst dafür zu gratulieren, wenn sie weniger neue Schulden aufnehmen.
- Richtig Jupp. In der Regel bezahlen die Schuldenstaaten alle paar Monate ihre Zinsen mit neuen Schulden zurück. Dazu drucken sie Geld, ohne dass ein Gegenwert erwirtschaftet worden ist. 1971 beendete Nixon in einem einsamen Entschluss die Golddeckung des Dollars und brachte damit das Weltwährungssystem durcheinander.
Übrigens: Im Jahre 1694 gab die Bank of England die ersten, damals noch handgeschriebenen Banknoten heraus. Darauf steht heute noch der Satz geschrieben: „I promise to pay the bearer on demand the sum of xxx pounds“. Das letzte Wort „sterling“ hat man allerdings dann streichen müssen, weil nicht mehr genug Silber zur Deckung der Währung verfügbar war. Allerdings hat man in Italien schon im 15. Jahrhundert entdeckt, dass man mit Geldgeschäften noch mehr Geld erzeugen kann. Die 1472 gegründete Banca Monte dei Pascha di Siena ist das älteste noch existierende Bankhaus der Welt. In Venedig begann auch der Aufstieg der Augsburger Handelsfamilie Fugger zum europaweit agierenden Konzern.
Hat nicht eher die industrielle Revolution für eine bislang unvorstellbare Beschleunigung der Welt gesorgt? Drei Dinge entwickelten sich in einer rasanten Geschwindigkeit: die Produktion, das Transportwesen und die Kommunikation. Time is money! Damit begann wohl der Siegeszug des Geldes. Jetzt steigert sich alles nochmals in der digitalen Revolution.
- Und es legte den Grundstein für den Kommunismus, denn ab 1867 analysierte Karl Marx die kapitalistische Gesellschaft und er schrieb: „Das Geld erniedrigt alle Götter des Menschen - und verwandelt sie in eine Ware. Das Geld ist der allgemeine, für sich selbst konstituierte Wert aller Dinge. Es hat daher die ganze Welt, die Menschheit wie die Natur, ihres eigentümlichen Wertes beraubt. Das Geld ist das dem Menschen entfremdete Wesen seiner Arbeit und seines Daseins - und dieses fremde Wesen beherrscht ihn, und er betet es an.“
Wow, das sind klare Worte, die nachdenklich machen sollten. Das erinnert mich an die heutige Situation unseres Gesundheitswesens, welches vollkommen durchkommerzialisiert wurde. 1710 gründete König Friedrich I. ein Pesthaus in Berlin, welches 1727 vom Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. in „Charité“ umbenannt wurde. Die Finanzierung erfolgte durch die königliche Kasse und durch Spenden reicher Bürger. Seit 2014 erwirtschaftet die Charité regelmäßig schwarze Zahlen in siebenstelliger Höhe. Da frage ich mich, warum Krankenhäuser aus der Versorgung kranker Menschen überhaupt Gewinne abwerfen sollen? Kommt irgendwann ein Berater auf Idee, dass auch die Feuerwehr und die Polizei ihre Kosten selbst decken und Profit erwirtschaften könnten?
- Alte chinesische Weisheit, Jupp: Geld verdeckt hundert Hässlichkeiten. Und in unseren Kliniken sieht es zurzeit sehr hässlich aus. Aber das ist ein anderes Thema. Lass uns auf die neue Nachdenklichkeit anstoßen, die hoffentlich durch einen kleinen Virus ausgelöst wird.
Ja Ingo, ich fürchte, der ehrwürdige Dalai Lama hat recht: Es gibt nur zwei Tage in deinem Leben, an denen du nichts ändern kannst. Der eine ist gestern und der andere ist morgen. Na, dann Prost.
Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet Ihr merken, dass man Geld nicht essen kann.
(Weissagung der Cree-Indianer)
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