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Rettet uns vor den Datensammlern und Datenschützern!

von Ingo Nöhr

Wir danken dem Verlag MEDI-LEARN.net GbR für die freundliche Erlaubnis, Cartoons von Rippenspreizer verwenden zu dürfen. Mehr Cartoons sind unter http://www.medi-learn.de/cartoons/ zu finden.
Vielen Dank MEDI-LEARN.de!

Beim monatlichen Stammtischtreff von Ingo Nöhr und seinem Kumpel Jupp kann es diesmal nur ein Thema geben: die europäische Datenschutz-Grundverordnung, die nach zwei Jahren Übergangszeit uneingeschränkt auch ins deutsche Recht übergegangen ist. Aufgeregt verfolgen nun die beiden die Auswirkungen in der Praxis – erwartungsgemäß wieder ein Chaos mit vielen Missverständnissen und Desinformationen. Jetzt trifft es auch viele kleinere Unternehmer und sogar Privatleute. Eine doppelte Fragestellung: wer schützt uns vor den Datensammlern UND den Datenschützern?

Hallo Jupp, hast du schon die Einwilligungserklärungen nach DSGVO für uns vorbereitet? Schließlich werden wir heute wieder eine Menge Daten austauschen und sogar öffentlich dokumentieren.

  • Ach, Ingo, hör‘ mir bloß auf mit dieser Verordnung. Ein bürokratisches Monster, typisch EU. Das Theater fing ja schon 2009 mit der Cookie-Richtlinie an - „das herausragende Jahr für den Datenschutz – endlich Einwilligung und Transparenz“, wie der europäische Datenschutz­beauf­tragte freudestrahlend verkündete. Seitdem muss jeder auf die Cookie-Anfrage mit Ja oder Nein antworten. Den digitalmüden Verbrauchern ist doch garnicht klar, was sie mit ihrer simplen Ja-Einwilligung für eine heimliche Informationskette auslösen, und das sogar weltweit.

Ja, Jupp. Aber damals war noch nicht die Rede davon, dass die Straßenfotografie gekillt wurde, Werbung kaum noch möglich ist, viele private Webseiten und Blogs nun geschlossen werden müssen, weil jetzt die Hundertschaften der Abmahnanwälte neues Blut geleckt haben. Eine regelrechte Hysteriewelle. Aber es gibt ja Rettung: Kurse für knapp tausend Euro und teure Jahres-Abos für Beratungsdienstleistungen.

  • Die Hysterie ist ja auch nicht ohne Grund entstanden. Schau mal, was allein in der letzten Woche passiert ist: Videospiele wie Ragnarok und Online-Dienste wie Instapaper sind für Europäer nicht mehr zugänglich, selbst die Chicago Tribune und die Los Angeles Times dürfen wir nicht mehr lesen.  Zeitungen wollen ohne vorherige Einwilligung keine Geburtstags­wünsche veröffentlichen. Viele Blogs und Vereinswebseiten wurden vorsichtshalber geschlossen. Selbst Gottesdienste in den Kirchen dürfen erst übertragen werden, wenn jeder Gottesdienstbesucher vorher schriftlich eingewilligt hat.

Schon Jupp, mein Mailbox-Papierkorb quillt auch permanent über, weil ich jetzt jeden Newsletter neu bestätigen muss. Ein Verwaltungsgericht hat von den Beziehern seines Newsletters verlangt, die angehängte PDF-Datei zur Einwilligung auszudrucken, zu unterschreiben, einzuscannen und dann wieder zurückzuschicken. Da kann ich nur sagen: JURISTEN! Man sollte eine Maximalquote von 5% in allen Parlamenten einführen.

  • Man sollte endlich mal Studien in Auftrag geben, welchen volkswirtschaftlichen Schaden die Juristen mittlerweile durch ihre Regelungswut in Deutschland angerichtet haben. Er dürfte mittlerweile die Größenordnung unserer Staatsschulden erreicht haben.

Die DSGVO hat einen schönen Nebeneffekt: Mir völlig unbekannte Firmen gestehen mir, dass sie in der Vergangenheit Daten über mich gesammelt haben. Ich möchte denen einen Kostenbescheid schicken mit dem Inhalt: „Meine Daten dürft ihr jetzt behalten. Bitte sendet mir für die Überlassung einen Pauschalbetrag von 50 Euro auf folgendes Konto.“

  • Das ist doch eine zündende Idee, Ingo. Bei Facebook, Google oder Amazon würdest du mit dieser Methode schnell zum Millionär werden. Warum verkaufen wir nicht generell unsere Daten? Bei Check24 bekommst du zu Negativzinsen einen Kredit. Du zahlst tatsächlich weniger Geld zurück, als sie dir gegeben haben. Sie wollen nur alle deine Daten, die du ihnen im umfangreichen Antragsformular offenlegen musst.

Apropos Facebook. Der Hamburger Datenschutzbeauftragte hatte Mark Zuckerberg ja gesetzlich verboten, die Nutzerdaten von WhatsApp mit Facebook zu kombinieren. Seit 25. Mai ist er aber nach der DSGVO nicht mehr zuständig. Prompt legt Zuckerberg die Daten wieder zusammen. Dafür haben sie jetzt ein anderes Problem: Der Österreicher Max Schrems hat bei der EU vier Beschwerden gegen Google und Face­book mit deren Diensten Instagram und WhatsApp eingereicht, weil sie entgegen der DSGVO die Weiternutzung ihrer Dienste von einer Zustimmung der Weiterverar­bei­tung ihrer Daten für Werbung abhängig machen.

  • Max Schrems? Das ist doch der Wiener Jurist, der 2015 mit seiner Klage vor dem EU- Gerichtshof das transnationale Safe-Harbor-Abkommen zur Datenübertragung in die USA gekippt hat. Oh je, Mark Zuckerberg hat sowieso gerade schlechte Karten in Europa. Dann könnten ihm jetzt Maximalstrafen von bis zu 4 Milliarden Euro drohen. Und Google wäre in gleicher Größenordnung mit dabei. Aber der Datenschutzbeauftragte von Hessen hat schon abgewiegelt: "Wir waren zahnlos und haben jetzt Zähne bekommen. Das heißt nicht, dass wir bissig geworden sind."

Es geht ja noch weiter, Ingo. Der Schrems will jetzt mit zehntausenden Aktivisten von OpenSCHUFA die Algorithmen der Auskunftei Schufa knacken. Dank DSGVO kann man jetzt mehr als einmal pro Jahr dort seine Daten kostenfrei abfragen.

  • Ja, eigentlich komisch, Jupp, nicht wahr. Um die Schufa, die mittlerweile höchst private Daten von fast jedem erwachsenen Bundesbürger besitzt und damit über Schicksale entscheiden kann, um die kümmert sich von offizieller Seite keiner so richtig.

Dabei hört man immer wieder von fatalen Konsequenzen wegen Fehleinträge. Bei einem größeren Kauf, einem Mietvertrag oder einer Kreditanfrage willigt man ja schon automatisch mit der Schufa-Anfrage ein, ohne dem geht es ja kaum noch. Und wehe, da wurde ein zurückgezahlter Kredit nicht in der Datenbank gelöscht. Oder du hast einen tiefverschuldeten Namenszwilling.

  • Aber kommen wir doch mal auf deine Alexa zu Hause zu sprechen. Die sammelt ja auch ständig Daten über dich und schickt sie über den großen Teich an Amazon. Hast du bei ihr schon deine Datenschutzeinwilligungserklärung abgegeben? Und wie wird sie reagieren, wenn du einfach nein sagst?

Also Ingo, meine Alexa benimmt sich immer noch anständig. Die hängt ja nicht dauernd am Netz, sondern nur, wenn ich mit ihr mal sprechen will.

  • Na ja, ein Ehepaar aus Oregon hat da eine andere Erfahrung gemacht. Alexa hat ein privates Gespräch der beiden aufgezeichnet und an einen Bekannten in Seattle geschickt. Als dieser etwas irritiert in Oregon anrief, fielen die Eheleute aus allen Wolken. Sie hatten Alexa überhaupt nicht genutzt.

Ingo, ich kenne diese Geschichte und war natürlich auch schockiert. Stell dir mal vor, ich lästere zu Hause über dich und Alexa schickt alles gleich auf deine Mailbox. Aber die Sachlage hat sich ja mittlerweile aufgeklärt. Alexa wartete auf ihr Stichwort und verstand in dem Genuschel der beiden wohl ihren Namen und den Befehl: „sende Nachricht“. Auf ihre Frage „an wen“ verstand sie wieder ein paar Gesprächsbrocken, schaute in ihre Adressenliste und verschickte die Unterhaltung an einen Mailnamen, der dem Wortfetzen am nächsten kam. Was lernt man daraus? Alexa benötigt eine deutliche Aussprache. Da werden sich die Schwaben, Sachsen, Bayern und Berliner wohl noch etwas umstellen müssen. Denn dass Alexa jetzt auch Dialekte sprechen kann, war nur ein Aprilscherz von Amazon.

  • Ich glaube, Jupp, du wirst noch weitere Probleme bekommen. Da du ja dein kuscheliges Häuschen jetzt auf Smart Home umstellen willst, solltest du dich vorab gut informieren. Die Smartphone-App für das Steuern von Lampen wurde wegen der DSGVO abgeschaltet. Stell dir vor, du willst dir ein Bier aus deinem smarten Kühlschrank holen. Der öffnet sich nicht! Warum? Weil du deine datenschutzrechtliche Einwilligung nicht unterschrieben hast. Vielleicht ist dein Putzroboter in den Streik getreten, weil er keine Raumdaten mehr an seine Firma senden darf.

Na ja, Ingo, ich werde erst mal mit dem Hersteller eine juristische Diskussion führen, ob die Datenverarbeitung nicht doch erlaubt ist – gesetzliche Grundlage, Vertragserfüllung, Interessensabwägung. Wie ist das eigentlich mit uns beiden? Du stellst unsere Stammtischgespräche einfach so ins Internet – hast du überhaupt eine DSGVO-Einwilligungserklärung von mir bekommen?

  • Aber Jupp, das ist doch das kleinste Problem. Ich habe deine Frage natürlich schon erwartet. Hier ist das Formular dafür. Unterschreibe bitte mal auf Seite 17. Alles andere habe ich schon ausgefüllt.

Siebzehn Seiten? Bist du irre? Was steht denn da alles drin? Ach du meine Güte: Allgemeine Geschäftsbedingungen, Datenschutzerklärung, Erläuterungen zur Datenverarbeitung und Datennutzung, Widerrufsrecht, … das nimmt ja gar kein Ende.

  • Ach Jupp, unterschreib einfach auf der letzten Seite, dann können wir endlich unser Bier trinken.

Okay, Ingo. Wenn du dir diesen bürokratischen Firlefanz antun willst. Gib mal her.  –

Eh, Moment mal. Was ist denn das für Kleingedrucktes über meiner Unterschrift. Das ist ja eine winzige Schrift. Ich brauche jetzt meine Brille.

Was? „Der Unterzeichner willigt unwiderruflich ein, die gemeinsamen Bewirtungskosten für alle künftigen Stammtische zu übernehmen“? INGO! Du Gauner!!

Herr Wirt! Bringen Sie uns mal zwei Bier. Und einen dicken schwarzen Permanentmarker. Mein Freund hier gibt zudem eine Lokalrunde aus. Nicht war, Ingo?

 

 

Ohne deine Einwilligung kann dich keiner unterschätzen.

(Oscar Wilde)

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