Neue (Männer) Ideen braucht das Land!
von Ingo Nöhr
„Natürlich interessiert mich die Zukunft. Ich will schließlich den Rest meines Lebens darin verbringen.“ Mark Twain
Bei ihrem monatlichen Stammtisch in der beliebten Eckkneipe halten Ingo Nöhr und sein Kumpel Jupp wieder eine Rückschau über die Ereignisse der letzten vier Wochen. Nach dem Sommerloch kommt die Politik wieder in Gang, geschockt durch die letzten Wahlergebnisse. Ans Regieren ist bis zum November 2017 eigentlich nicht mehr zu denken, permanenter Wahlkampf ist angesagt. Jetzt geht es darum, die massiven Zuströme der unzufriedenen Bürger von den ehemaligen Volksparteien zur AfD zu stoppen. Dabei könnte doch gerade dieser fast unaufhaltsame Trend der Wähler-Rebellion endlich mal dazu führen, die bisherigen Denkweisen und Strategien einer kritischen Revision zu unterziehen.
Ingo, hast du das auch in der Zeitung gelesen? Der Brandschutz in unserem Gymnasium muss modernisiert werden, da sich die Vorschriften verschärft haben. Dafür müssen die monatelang auf allen Etagen Wände und Decken aufreißen, um die Lüftungsschächte in den einzelnen Stockwerken abzutrennen. Außerdem soll die gesamte Lüftungsanlage neu konstruiert werden. Riesenkosten und massiv beeinträchtigter Schulbetrieb für Hunderte von Schülern. Sag mal, muss das sein?
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Anscheinend, Jupp. Wahrscheinlich fackelt das ganze Gebäude ab, wenn im Erdgeschoss ein kleiner Brand entsteht. Ich finde, die Maßnahme ist viel zu kurz gedacht. Nachdem Hunderttausende von Gebäuden außen mit dickem Dämmmaterial isoliert worden sind, stellt man jetzt fest, dass bei einem winzigen Feuer an einer Ecke die gesamte Fassade abbrennen kann. Überleg dir mal die gigantische Geldverschwendung. Durch die komplette Wärmeisolation hat man jetzt den krebserzeugenden Schimmel in der Wohnung. Und auch nach einem erfolgreichen Löscheinsatz ist der Gebäudeschaden durch das eingesetzte Löschwasser extrem hoch.
Das meine ich ja, Ingo. Das ganze Geld könnte doch viel sinnvoller für Alternativlösungen verwendet werden. Worum geht es denn beim Brand in der Schule? Viel wichtiger ist es doch, die Kinder und Lehrer möglichst schnell zu evakuieren als die Gebäudesubstanz zu erhalten. Die ist in den meisten Fällen wegen fehlender Investitionsmittel längst schon marode geworden. Ich stelle mir vor, dass man in jedem Klassenraum am Fenster so etwas wie zusammengelegte Rutschschläuche installieren kann. Die gibt es schon seit Jahrzehnten für Hochhäuser. Man wirft ein Ende aus dem Fenster, springt oben in den Schlauch rein und gleitet an der Schlauchwand schnell zum rettenden Boden. Da wird in weniger als fünf Minuten die gesamte Klasse evakuiert. Installationsaufwand: ein Tag. Kosten: ein Bruchteil der jetzigen Sanierung.
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Gute Idee, Jupp. Die lässt sich sicherlich auf die meisten Gebäude übertragen. Der BER Flughafen kosten uns jetzt schon statt geplanter 2,4 Milliarden nun über 5 Milliarden Euro. Damit könnte man den Tegeler Flughafen noch fünfzig Jahre weiterbetreiben. Der notwendige Brandschutz hat die Inbetriebnahme im November 2011 verhindert und durch die ständige Verschärfung der Vorschriften immer wieder verzögert. Jetzt erst sind die verantwortlichen Manager auf die Idee gekommen, das Maximalszenario für die Entrauchungsanlage des Terminalbahnhofs auf ein realistisches Niveau zu reduzieren. Die Simulationen gingen bisher immer von 90 Millionen Passagieren pro Jahr aus, dabei sollen an diesem Terminal nur 22 Millionen Fluggäste starten. Durch diese Einsicht reduzieren sich die Anforderungen drastisch und eine Eröffnung Anfang 2018 wäre denkbar.
Hinzu kommt noch, dass das aktuelle Gutachten der niederländischen NACO feststellt, dass die Menge der in Deutschland geforderten Genehmigungsunterlagen im Vergleich zu allen anderen internationalen Projekten extrem hoch ist. Wir Deutschen müssen immer übertreiben und übersehen dabei das Sinnvolle, weil wir unsere Vorschriften stets über den gesunden Menschenverstand stellen.
Ich erinnere mich an den Bericht eines Kollegen. Ein verwirrter Patient hatte in seinem Klinikum nachts die Bettenzentrale in Brand gesteckt. Die Brandschutztüren schlossen einwandfrei und eigentlich hätte der Schaden dadurch auf diesem Raum begrenzt sein sollen. Aber was man bei der Konstruktion nicht bedacht hatte, dass sich die Metalltüren durch die große Hitze verziehen. Der Rauch zog durch die entstandenen Spalte in sämtliche Stockwerke des Gebäudes. Die Sanierungen dauerten mehr als ein Jahr, weil sämtliche Oberflächen durch die Rauchablagerungen kontaminiert waren.
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Ja, Jupp, wir Deutschen übertreiben wirklich maßlos. Nimm nur mal den Datenschutz. Was ist alles nicht möglich, weil uns der Schutz unserer persönlichen Daten von sinnvollen Maßnahmen und Analysen abhält. Dabei ist der doch längst komplett durchlöchert. Die Menschen geben ungehemmt im Internet ihre intimen Daten preis. Der Staat mit seinen unkontrollierbaren Geheimdiensten greift in seiner Datengier immer ungehemmter auf unsere persönlichen Daten zu. Riesige Datenbanken entstehen, die in schöner Regelmäßigkeit von den Hackern angezapft werden. Selbst bei der NSA konnte eine Hackergruppe geheime Spähsoftware kopieren. Den ersten Teil haben sie bereits im Internet veröffentlicht, der interessantere zweite Datensatz ist für eine Versteigerung ausgeschrieben. 500 Millionen Euro wollen sie dafür haben.
Unsere Behörden sind doch IT-mäßig noch in der Steinzeit. Schon im Juli 2011 hatte sich eine „No Name Crew“ Zugang zum Fahndungssystem PATRAS von Bundeskriminalamt, Bundespolizei und Zoll verschafft. Die Behörden mussten daraufhin die Server abschalten. Und auch die privaten Konzerne bleiben nicht verschont: J.P. Morgan, Sony, Twitter, Apple, das ist nur eine kleine Auswahl. Jetzt Yahoo mit den gehackten Daten von einer halben Milliarde Kunden. Wir sind schon mitten drin im Cyberkrieg. Und unser Innenminister hat nichts Besseres zu tun, als eine allgemeine Backdoor-Pflicht für alle Kommunikationsplattformen zu fordern, damit seine Behörden durch diese Hintertür heimlich eintreten können. Sie werden sich dort in trauter Zweisamkeit mit den Hackern wiederfinden.
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Jupp, du hast recht. Der blinde Aktionismus wird immer hysterischer. Um die Bürger zu beruhigen, werden die Sicherheitskontrollen immer mehr zulasten der Freiheit verschärft: Aufstockung der Geheimdienste, Vorratsdatenspeicherung, Backdoors, neuerdings Burkaverbote. Reine Hilflosigkeit, geboren aus Ratlosigkeit und Angst vor dem Kontrollverlust. Dabei ist eines doch klargeworden: mehr Kontrolle hat bislang nicht mehr Sicherheit bringen können. Frankreich hat seit Jahren die Vorratsdatenspeicherung und das Burkaverbot eingeführt, seit vielen Monaten des Ausnahmezustands ist das Land buchstäblich zum Polizeistaat geworden. Dennoch konnte der Anschlag in Nizza nicht verhindert werden. Dabei waren die meisten Terroristen der vergangenen Jahre in der EU behördenbekannt, die Mehrzahl sogar einschlägig, inklusive ihrer Kontakte und öffentlichen Bekenntnisse. Der Vater des New Yorker Bombenlegers hatte die Polizei und das FBI schon 2014 vergeblich über die Attentatsabsichten seines Sohnes informiert, was zumindest zu einer Registrierung bei den amerikanischen Sicherheitsbehörden führte.
Ich denke, Ingo, der Krieg gegen den Terror ist schon gleich nach dem 11. September 2001 zum Scheitern verurteilt gewesen, als George Bush die Rachsucht gepackt hat. Hätte er die Billionen-Dollar-Investitionen in eine intelligente Armutsbekämpfung und Kulturenmittlung eingebracht anstatt sie in den Kriegen und dem gigantischen Ausbau der Sicherheitsinfrastrukturen zu verschwenden, sähe die Welt heute wesentlich friedvoller aus. So haben Kriegsgräuel und Fanatismus unzählige neue Terroristen erzeugt und dem Islamischen Staat erst die ideologische Grundlage geliefert.
Das alte Prinzip der Steinzeitmenschen gilt leider immer noch: Schlägst du mich, dann schlage ich umso härter zurück! Zutiefst unchristlich übrigens. Ein endloser Teufelskreis, am Leben erhalten durch reine Dummheit. Dabei muss man doch nur mal einen großen Schritt zurücktreten und den bisher eingeschlagenen Weg kritisch hinterfragen. Ein Blick in die Geschichte wäre dazu sehr hilfreich. Aber wir wollen einfach nicht aus unseren Fehlern lernen.
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Stimmt, Jupp, die meisten Menschen sind nicht lernfähig und alte Männer sind kaum bereit, neue Wege zu gehen. Aber es gibt immer wieder Hoffnungsschimmer am Horizont. Das Internet ist als gigantischer Ideenverteiler ein wichtiges Werkzeug. Schau dir nur die marode Lage unserer Großbanken wie die Deutsche Bank und Commerzbank an. Schon wieder wird gemunkelt, dass ihnen der Steuerzahler erneut wegen „too big too fail“ unter die Arme greifen muss. Aber es regen sich zunehmend kritische Stimmen, die immer lauter fragen, ob wir diese riskanten Dinosaurierbanken im Privatbereich überhaupt noch benötigen. Deren Geldanlagen verzinsen sich nicht mehr, Kredite für Investitionen bekommt man viel einfacher durch neue Ideen wie Crowdfunding oder durch Peer-to-peer Kredite bei privaten Geldmarktplätzen wie Auxmoney oder Smava-Portale. Außerdem haben wir im europäischen Vergleich viel zu viel Banken in Deutschland. Ein radikales Gesundschrumpfen ist längst überfällig.
Dazu müsste unsere Gesellschaft aber mal ein „Neues Denken“ einfordern. Ein totales Umdenken durch konsequentes Infragestellen ist erforderlich, aber bitte etwas durchdachter als die letzte Energiewende. Ein einfacher Blick auf die wahren Ursachen von Krisen wie beispielsweise bei unserem Demografieproblem hilft weiter: kaum gibt es bei uns ausreichend Kitaplätze, schon steigen die Geburtsraten, weil die Frauen in der Mutterschaft nicht mehr auf ihren Job verzichten müssen. Frankreich hatte diese Lösung schon vor vielen Jahren erfolgreich eingeführt.
Neues Denken. Gerade jetzt sollten die Gesundheitspolitiker mal nach Dänemark schauen. Vergleichbar mit der Region Berlin-Brandenburg, wo 89 Akutkrankenhäuser mühsam die Patienten einfangen müssen, reduzieren die Dänen die Anzahl von 56 auf 21 Kliniken. Dazu installieren sie aber bis 2025 achtzehn Superkrankenhäuser, volldigitalisiert nach dem neuesten Technologiestandard. Durch effizienten Einsatz von Telemedizin und innovativer Logistik soll die Versorgungsqualität der Patienten wesentlich erhöht werden. Deutsche Klinikmanager können nur neidisch auf das dänische Modell starren, bei uns wäre das digitale Konzept schon aus Datenschutzgründen gar nicht umsetzbar.
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Tolle Sache. Nebenbei, Jupp, hast du von dem neuen Arbeitsplatz in einem dänischen Krankenhaus gehört? Chief Robotics Officer. Er ist Herr über mobile Roboter, die sogar von einem dänischen Unternehmen hergestellt werden. Sie bringen Medikamente für die Behandlungen an die richtigen Stellen. Nebenbei können sie noch den Müll entsorgen sowie andere Arbeiten erledigen, um damit das menschliche Personal von monotonen und zeitintensiven Aufgaben zu entlasten. Vielleicht finden wir bald auch starke und unermüdliche Pflegeroboter als Hilfskräfte auf den Stationen.
Bei uns doktern die Gesundheitsminister seit Jahrzehnten mit ungezählten Reformen am planwirtschaftlichen Gesundheitssystem herum. Mit dem Ergebnis, dass es immer unbezahlbarer wird. Die aktuellen Reformen sollen im Zeitraum bis 2020 zu 40 Milliarden Euro Mehrausgaben führen, allein die Pflegereform kostet 30 Milliarden Euro. Überleg mal, wieviel Pflegeroboter man dafür kaufen könnte. Hermann Gröhe ist schon der teuerste Gesundheitsminister, den Deutschland je hatte.
Ingo, du scheinst ja glatt anzunehmen, dass die Roboter unser Demografieproblem lösen werden. Maschinen bauen, Rasen mähen, Fenster putzen, Staub saugen, Auto fahren, chirurgisch operieren, all das können sie heute schon. Wie früher die Gastarbeiter sollen sie bald alle lästigen oder schmutzigen Aufgaben übernehmen, die wir als bequeme Menschen nicht mehr durchführen wollen. Wenigstens werden sie die hygienischen Zustände in den Kliniken verbessern, weil sie sich immer vorschriftsmäßig die Hände waschen würden. Und sie könnten jederzeit gutgelaunt und unverdrossen endlose Patientenwünsche erfüllen und nebenbei kontinuierlich deren Lebensfunktionen überwachen.
Aber ich weiß nicht. Auf die menschliche Wärme einer Krankenschwester möchte ich nun doch nicht ganz verzichten.
Genau wie bei unserem Wirt. Stell dir vor, so ein öliger Blechonkel würde uns das Bier zapfen und mit quietschenden Gelenken an unseren Tisch bringen.
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Jupp, du bringst es auf den Punkt. Es gibt noch unverzichtbare Arbeitsplätze für Menschen. Herr Wirt, bitte zwei mit Liebe gezapfte Biere! Auf das sie uns noch lange erhalten bleiben!
Die größte Gefahr sind heute die Leute, die nicht wahrhaben wollen, dass das jetzt anhebende Zeitalter sich grundsätzlich von der Vergangenheit unterscheidet. Mit den überkommenen politischen Begriffen werden wir mit dieser Lage nicht fertig werden. Der Bankrott der traditionellen Vorstellung von Krieg, Angriff und Verteidigung ist offenbar. Ohne Umdenken ist kein Ausweg aus der Gefahr möglich.
(Max Planck, Physiker, 1858 - 1947)
Wirtschaftliche und finanzielle Maßnahmen allein können die Zukunft des Standorts Deutschland nicht sichern. Bewegung in den Kassen reicht nicht aus - Bewegung in den Köpfen muss hinzukommen. Wir müssen umdenken! (Helmut Kohl, Bundeskanzler von 1982 - 1998)
Wir leben in einer Zeit tiefgreifender historischer Umbrüche. Dieser Prozess zwingt uns alle zum Umdenken. (Richard von Weizsäcker, Bundespräsident von 1984 -1994)
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