Der Internationale Tag des Stammtisches
von Ingo Nöhr
Jupp und Ingo haben den ersten Monat des neuen Jahres hinter sich gebracht. Es fing schon mit einem Paukenschlag an, als ein internationales Team von IT-Sicherheitsexperten bei einem Großteil der seit 20 Jahren produzierten Mikroprozessoren zwei gravierende Sicherheitslücken fanden. Der 39. Bayerische Filmpreis geht an einen Film namens „Die beste aller Welten“. Dagegen verweigert ein EU-Gericht dem Titel der Fack-Ju-Göte Filme den Markenschutz, weil – welch Überraschung – er „eine anstößige und vulgäre Beleidigung“ darstelle. Die zutiefst verfeindeten Staaten Nord- und Süd-Korea wollen gemeinsam auf der Olympiade auftreten. Und zudem zeigte sich die Natur reichlich stürmisch.
Guten Tag, Ingo. Du siehst so verdammt ausgeschlafen aus. Hattest du nichts zu tun in den letzten Tagen?
- Eigentlich schon Jupp. Aber ich hatte keinen Stress. Was hast du denn am 21. Januar so getrieben?
Wieso am 21. Januar? Das war doch ein Sonntag. Was werde ich da wohl gemacht haben? Ich hatte Besuch von der Friederike. Und die Folgetage war ich damit beschäftigt, umgestürzte Bäume zu zersägen, die Überreste meines Treibhauses zusammenzusuchen und noch einen Dachdecker zu bekommen, der meine Löcher im Dach schließt. Und was hast du getrieben?
- Tja, Jupp, ich war wohl etwas besser auf den Orkan vorbereitet. Stahlseil am Baum befestigt, Gartenhäuschen mit Steinen beschwert, alle Rollläden heruntergelassen und alles Bewegliche weggesperrt. So konnte ich geruhsam meinen Weltkuscheltag feiern. Wenn man kuschelt, repariert man sich gegenseitig!
Weltkuscheltag? Was ist das denn für ein Blödsinn? Hat den die Presse erfunden? An diesem Sonntag war doch der Bonner Sonderparteitag der SPD. Die Mehrheit der Delegierten stimmte da für die GroKo. Hat dieses Ereignis nun schon Weltbedeutung erlangt?
- Nun ja Jupp, vielleicht haben die Parteibonzen vor der Abstimmung noch etwas geknuddelt und konnten dann liebesberauscht die Stimmzettel abgeben. Nein, die Presse ist diesmal unschuldig. Die beiden Amerikaner Adam Olis und Kevin Zaborney aus Michigan haben ihn 1986 als National Hugging Day erfunden. Der Kuscheltag liegt genau in der Mitte zwischen Weihnachten, dem Fest der Liebe und dem Valentinstag, dem Tag der Liebenden. Er soll an die positive Wirkung des Kuschelhormons Oxytocin erinnern. Und erfolgreich: gleich am nächsten Tag haben auch die Demokraten im US-Kongress ihre Blockadepolitik beim Bundeshaushalt aufgegeben.
Also Ingo, ich habe da einen Verdacht. Augenscheinlich haben sich unsere Wirtschaftsbosse auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos am Freitag das Kuschelhormon ebenfalls reingezogen. Hast du das Video vom Abendessen mit Donald Trump gesehen? Unsere Manager sind blind in eine Falle getappt. Statt ein feierliches Dinner mit Gesprächen auf Augenhöhe mit dem US-Präsidenten gab es ein fast militärisches Antreten zum Rapport, welches gleich als Video weltweit ausgestrahlt wurde. Fünfzehn eingeschüchterte Schuljungs mussten darlegen, wie sie künftig in die amerikanische Wirtschaft investieren. Wie beflissen und kleinlaut unsere höchstbezahlten CEOs von Siemens, Adidas, ThyssenKrupp, Bayer, SAP und Konsorten da rumschleimten, das war hochgradig peinlich.
- Stimmt Jupp. Von den großkotzigen Tönen in den Tagen zuvor war nichts mehr zu spüren. Jetzt hatte sie die brutale Realität eingeholt. Donalds Stirnrunzeln konnte Milliarden Verluste einbringen, ein „Well done“ jagte dagegen die Börsenkurse hoch. Ich denke mal, dass die Großkonzerne mit allen Mitteln an diesem Präsidenten festhalten werden. Etwas Besseres kann ihnen nicht passieren. Er hat ihnen schon durch seine radikale Steuerreform traumhafte Renditen beschert. Und die Waffenproduktion wird in astronomische Werte gesteigert.
Also Ingo, wenn das Zeug so einfach wirkt, sollte man in den Krisengebieten der Welt das Kuschelhormon dem Trinkwasser beifügen; - und den beiden Hitzköpfen Donald Trump und Kim Jong-un vor einem Treffen etwas Oxytocin in die Cola beziehungsweise in den Tee schütten.
- Klar, Jupp. Zum passenden Termin habe ich auch eine Idee. Es wäre schön, wenn das Treffen der zwei am 6. Februar zum Internationalen Aktionstag der UN Menschenrechtskommission stattfinden könnte. Da haben beide Politiker ja einen erheblichen Handlungsbedarf. Allerdings liegt da der Schwerpunkt dieses Tages auf Aktionen gegen die weibliche Genitalverstümmelung. Überhaupt ist der Februar stark von gesundheitspolitischen Themen geprägt: Schon am 4. zelebriert die Weltgesundheitsorganisation den World Cancer Day, gefolgt vom Vatikanischen Welttag der Kranken am 11.2., proklamiert von Papst Johannes Paul II. Da will das Europäische Parlament natürlich nicht zurückstehen und erinnert passenderweise am gleichen Datum an den Europäischen Tag des Notrufs 112. Schlussendlich feiert der Monat Februar dann den Internationalen Aktionstag der Seltenen Erkrankungen.
Oh, das trifft sich gut. Da könnte ja unser IBM Dr. Watson im Uniklinikum Marburg seinen Memo-Tag feiern. Bestimmt wird ihm aus festlichem Anlass ein besonders kniffliges Krankheitsbild serviert. Kannst du noch mehr solcher Aktionstage vorschlagen, damit ich bloß nichts verpasse?
- Also Jupp, für das Gesundheitswesen gibt es in 2018 genügend Aktionstage zu zelebrieren. Schau mal nur im März: am 8. Welt-Nierentag, der 15.: Nationaler Tag der Rückengesundheit, am 20. Welt-Mundgesundheitstag., am 21. Welt-Down-Syndrom-Tag, am 24. Welt-Tuberkulosetag. Im April geht es ungebremst weiter: 2. Welt-Autismus-Tag, am 7. April Rundumschlag mit dem Welt-Gesundheitstag. Am 11. geht es um Parkinson, am 25. um Malaria und 29. feiern die Immunologen ihren Welttag.
Wenn ich richtig mitgezählt habe, sind wir schon bei vierzehn Gedenktagen in drei Monaten. Und alles nur zum Thema Gesundheit. Ich erinnere mich daran, dass wir letztes Jahr am 13. Februar den Welttag des Radios gefeiert haben. Jetzt müssten längst Tage des Smartphones, des Laptops, des USB-Sticks, des Roboters, der Virtual Reality, des Big Data und so weiter eingerichtet werden. Damit wir endlich mal Zeit finden, darüber nachzudenken, was diese Technologien eigentlich mit uns anstellen.
- Das wird terminlich schwierig werden, Jupp. Du wirst gleich sehen, wie voll der Kalender schon ist. Ich war ja mit meiner Aufzählung noch nicht fertig. Allein der Mai hat es mit elf Aktionen zur Gesundheit in sich: Asthma am 1., herzkranke Kinder am 5. Auch und ganz wichtig: am gleichen Tag auch der Welttag der Handhygiene. Wenigstens einmal im Jahr sollen wir uns ganz gründlich die Hände waschen. Schlaganfall am 10., passend dazu der Welt-Pflegetag am 12., kombiniert mit dem Internationalen Tag des chronic fatigue syndrome. Hypertonie am 17., Geburtsfisteln am 23. Mai. Die Deutschen haben noch den Nationalen Venentag am 20. und den Tag der Stammzellspende am 28. dazugepackt. Und damit man wenigstens einmal im Jahr einem der größten Gesundheitskiller gedenkt: der Welt-Nichtrauchertag am 31. Mai.
Halt mal an bitte, Ingo. Es reicht erstmal. Stell dir nur mal vor, unser Gesundheitsminister müsste an jedem dieser Gedenktage eine Rede halten. Der käme ja gar nicht mehr ins Büro zurück. - Na ja, vielleicht wäre es auch besser so, dann kann er in der Gesundheitspolitik weniger Unheil anrichten. Ich vermisse allerdings den eminent wichtigen Welttag der Männergrippe. Und für die Frauen den Internationalen Tag der Migräne.
- Vorsicht, Jupp. Die ständige Sorge um die Gesundheit ist auch eine Krankheit. Das hat schon Platon erkannt. Und Mark Twain warnt vor allzu viel Wissen: Sei vorsichtig beim Lesen von Gesundheitsbüchern. Der kleinste Druckfehler kann dein Tod sein.
Da wird er wohl recht haben. Heute würde er den Satz wohl auf spezielle Internetseiten beziehen. Aber jetzt aufpassen, Ingo. Am 23. April wird immer der Nationale Aktionstag des Deutschen Bieres gefeiert. Im Prinzip begehen wir beide schon seit über fünf Jahren traditionell immer am Ersten jeden Monats unseren eigenen Biertag. Aber ich finde es fehlt noch ein Internationaler Tag des Stammtisches. Auf die Idee ist wohl noch keiner gekommen, obwohl die Stammtischreden angesichts des Verhaltens unserer Politiker immer mehr Bedeutung erhalten. Es wäre doch schön, wenn alle Regierungen der Welt nicht ständig ihre Politik nach der aktuellen Volkstimmung ausrichten, sondern nur an einem einzigen Tag des Jahres den Stammtischparolen folgen würden
- Ja, aber welchen Tag sollen wir dazu auswählen? Da kommt mir ein Gedanke, Jupp. Ich habe vor kurzem mal wieder den Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“ gesehen. Die Handlung spielt in Pennsylvania, immer am 2. Februar. Auf einem Volksfest, dem Groundhog-Day wird ein Waldmurmeltier aus seinem Bau gelockt. Wenn das Tier „seinen Schatten sieht“, das heißt, wenn die Sonne scheint, soll der Winter noch weitere sechs Wochen dauern. Dieses Datum ist also schon mit dem Murmeltiertag belegt. Aber der 1. Februar ist in der Liste der Welt- und Aktionstage noch frei. Warum gründen wir nicht schon heute den Welttag des Stammtisches?
Ja, warum nicht? Das ist eine Super Idee, Ingo. Herr Wirt, kommen Sie mal schnell her. Sie erleben jetzt ein historisches Ereignis. Wir gründen heute einen weltweiten Aktionstag. Sie können morgen eine Metallplatte an Ihrer Eingangstür anbringen: „An diesem Ort fand am 1. Februar 2018 die Gründung des Internationalen Tages des Stammtisches statt.“. Und wir drei unterzeichnen dann als die Gründungsmitglieder. Beim nächsten Treffen laden wir dann die Presse ein. Was halten Sie davon? - Oh, ein Freibier? Da sagen wir nicht nein. Also Prost auf die internationale Kommunikation.
Man soll sein krankes Nierenbecken
nicht mit zu kalten Bieren necken.
Auch sollte man bei Magenleiden
den Wein aus sauren Lagen meiden.
Christian Morgenstern (1871 - 1914), deutscher Schriftsteller
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