Achtung – die Populisten kommen!
von Ingo Nöhr
Wieder mal aufregende Zeiten für die beiden Krankenhaus-Recken Ingo und Jupp. Die Weltpolitik schlägt immer absurdere Kapriolen, der Klimawandel macht sich durch Rekordtemperaturen und Super-Hurricanes bemerkbar. In Hongkong wehrt sich die Bevölkerung gegen chinesische Bevormundung. In Wacken treffen sich friedlich 85.000 Heavy-Metal-Freunde, in Cardiff endet die Fußballweltmeisterschaft der Obdachlosen, in Graz die Weltmeisterschaft im Unterwasser-Rugby. Und ängstlich beobachtet von ganz Deutschland schreiten die Sachsen und Brandenburger zur Landtagswahl.
Hallo Ingo, ich verspüre da gerade ein großes Aufatmen in unserer Republik. Es hätte ja alles viel schlimmer kommen können. Die AfD ist zwar in Sachsen und Brandenburg in den Status einer Volkspartei aufgestiegen und wäre beinahe in den Landesregierungen gelandet.
- Noch einmal Schonzeit für die politischen Machthaber. Am 27. Oktober könnten die Rechtspopulisten nochmal in Thüringen empfindlich zuschlagen, danach bleibt es 2020 mit drei Kommunalwahlen relativ ruhig. Aber 2022 geht es dann rund: vier Landtagswahlen und die Bundestagswahl drohen. Da werden sich weiterhin die politischen Gewichte weg von den früheren Volksparteien verschieben und viele liebgewonnene Sitzplätze verloren gehen.
Das heißt also, Ingo, eine Regierungsbildung in Deutschland wird zunehmend schwieriger. Eine GroKo will keiner mehr, mit der AfD darf keiner, daher werden die Koalitionen jetzt bunt zusammengewürfelt. Nachdem die Jamaika-Koalition nicht zustande kam, ist jetzt die Kenia-Koalition das neue Schlagwort: Schwarz – Rot – Grün, eine Farbmischung, die schon seit mehr als drei Jahren in Sachsen-Anhalt vor sich hin werkelt.
- Jupp, da stellt sich mir eine Frage: Wie will man denn künftig diese Parteien mit ihren oft sehr kontroversen Standpunkten zu einer zukunftsorientierten Politik für die Lösung der komplexen Problemfelder zusammenführen? Zumal die Populisten erfolgreich nach einer einfachen Faustformel agieren, um die Herrschaft über das Volk zu erlangen: Belohne die Gier und vermehre die Angst. Der Populismus lebt und ernährt sich von den Verlierern, die den Staat nur noch als Familienbetrieb betrachten.
Ja, Ingo – die Verlierer formieren sich. Viele Jahre lang waren die Populisten noch in der Opposition und haben die Bürger mit einer guten Show bedient. Es gab große Inszenierungen und viel Streitereien, die zwar die bräsigen Altparteien in ihrem Tiefschlaf aufgeschreckt haben, aber aufgrund fehlender Stimmgewichte keinen Schaden anrichten konnten. Aber jetzt sind sie weltweit auf dem Weg zur Regierungsverantwortung. Erinnerst du dich noch an Silvio Berlusconi? Jetzt konnten sie in Italien gerade noch die Mehrheit der Rechtspopulisten in der Regierung verhindern. Erdogan in der Türkei! Victor Orban in Ungarn! Schau nach Griechenland, Österreich, Polen, Ungarn! Und jetzt Boris Johnson in Großbritannien!
- Jupp, da gebe ich dir recht. Jetzt wird es gefährlich, wenn den Populisten plötzlich die Regierungsgewalt in die Hände fällt. Da sie ganz auf den momentanen Effekt ihrer Wählergruppen fixiert sind, ignorieren sie die langfristigen Folgen ihrer Politik. Mit seiner radikalen Brexit-Politik wird Boris Johnson seinem Land auf Jahrzehnte Schaden zufügen. Er scheut sich nicht einmal, das Parlament im Mutterland der Demokratie durch eine wochenlange Zwangspause auszuschalten, damit er ungestört seinen No-Deal-Brexit durchführen kann.
Klar, Ingo: wer stört, muss weg. Das hat gerade der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro vorgeführt, weil er den Amazonas-Urwald durch Brandrodung für den Anbau von Soja und Zuckerrohr umbauen wollte. Als sein Nationales Institut für Weltraumforschung die katastrophalen Zahlen vom Raubbau veröffentlichte, feuerte er kurzerhand den Chef.
- Erdogan hat auch seinen Notenbank-Chef gefeuert, weil er die Zinsen nicht senken wollte. Donald Trump hatte Bolsonaros Idee gleich aufgegriffen und angekündigt, nun auch den Naturschutz für die Wälder in Alaska aufzuheben. Auch er hat mittlerweile alle potenziellen Quertreiber in seinem Umfeld abgeschossen. Nun kann er sich ungestört als Gottgewählter und „König von Israel“ feiern lassen und seine Politik per Immobiliendeals weitertreiben. Denn jetzt macht der Schnäppchenkauf von Grönland noch Sinn, solange die Insel von einem kilometerhohen Eispanzer bedeckt ist. Das Gletschereis kann er gewinnbringend als Premiumwasser oder als Eiswürfel für die Whiskeys während des nächsten G7-Gipfels in seinem Golfclub in Florida verkaufen. Nach dem Abtauen Grönlands in ein paar Jahren könnte er dann die gewaltigen Bodenschätze abbauen. Dummerweise hat ihn die alte Kuh, die Königin von Dänemark, einfach abblitzen lassen. Zur Strafe musste sie auf die Ehre seines Besuchs verzichten.
Apropos, Boris Johnson. Sein amerikanischer Bruder im Geiste ist da schon einen Schritt weiter. Mit seinen wutgesteuerten Handelskriegen beschleunigt Donald Trump eine drohende Welt-Rezession und isoliert Amerika gesellschaftlich und wirtschaftlich auf Jahrzehnte. Es herrscht ökonomischer Vandalismus - die US-Industrie und die amerikanischen Verbraucher werden dafür teures Lehrgeld zahlen.
- „Die Dummheit von Regierungen sollte niemals unterschätzt werden!“ sagte einmal unser Ex-Kanzler Helmut Schmidt.
Er hatte recht, Ingo. Dank der Trumpschen Sonderzölle wird sich China wesentlich schneller als geplant zur führenden Wirtschaftsmacht der Welt entwickeln, weil es sich aus der technologischen Abhängigkeit von den USA lösen will. Wir werden bald die Ablösung der Vorherrschaft von Google, Apple, Facebook, Intel und Microsoft durch chinesische Produkte erleben. Alibaba läuft sich bereits in Europa warm. Und auch der Siegeszug von Huawei lässt sich nicht mehr durch amerikanische Boykotte stoppen.
- Erinnerst du dich noch an SDI, die Star Wars Spinnereien von Ronald Reagan Ende der 80er Jahre, Jupp? 32 Milliarden Dollar an Forschungsgeldern hat er damals für den Kampf gegen das Reich des Bösen verballert. Ergebnis gleich Null. Aber Trump findet diese Idee gut. Er hat beim Pentagon gerade ein Militärkommando für den Weltraum gegründet – das Space-Com. Daraus wird demnächst der sechste Arm des US-Militärs hervorgehen, die Space Force. Sie soll die amerikanische Lufthoheit im Weltraum sicherstellen. Mit all den schönen Spielzeugen, für die sich Reagan schon begeistert hat.
Zusammen mit seinen Raumflugplänen zum Mars wird er noch viel Geld brauchen. Aber sein Notenbankchef Jerome Powell wird weiterhin unermüdlich Dollarnoten drucken und jeden Tag fast eine Milliarde Dollar an Schuldzinsen zahlen. Es stört wohl keinen, dass die Gesamtschulden des amerikanischen Staates inzwischen über 22 Billionen Dollar betragen. Die Geschichte lehrt uns, dass diese Geldpolitik immer mit einem Staatsbankrott oder einer Hyperinflation endet.
- Jupp, wir Deutschen sind da etwas besser dran. Unser Staat zahlt jede Sekunde 66 Euro an Schulden ab. Knapp 2 Billionen Euro Staatsschulden sind gerade mal 61% unseres Bruttoinlandsproduktes, während die Amerikaner schon 100% BIP überschritten haben. Auf Griechenland lasten immer noch Schulden in Höhe von 183% des BIP. Wir sollten mal in einer ruhigen Minute daran denken, dass unsere Geldscheine eigentlich nur ein bedrucktes Blatt Papier sind, dessen Wert vom unerschütterlichen Glauben an eine Tauschgarantie abhängt. Es gab im Jahr des Mauerfalls eine Zeit in Polen, wo es billiger war, die Wände mit Zloty-Scheinen zu tapezieren, als Tapeten dafür zu kaufen. Für Venezuela schätzt der Internationale Währungsfond die Inflationsrate für das Jahr 2019 auf zehn Millionen Prozent.
Ja, Ingo, wie sollen diese Probleme, vom Klimawandel und seinen weltweiten Folgen gar nicht zu reden, gelöst werden, wenn die Populisten an die Macht kommen? Der ökonomische Amoklauf eines Donald Trump wird doch schon bald in einer Rezession enden, welche die Weltwirtschaft mitreißen wird. Ein einzelner Politiker ist in der Lage und dreht die Globalisierung zurück. Das bedeutet aber für mich, dass die US-Multis wie Amazon, Google, Apple überhaupt nicht die Macht besitzen, die wir ihnen immer angedichtet haben, sonst hätten sie ihn doch längst stoppen können. Sie haben richtig Angst vor Trump und seinen unberechenbaren Regulierungsmaßnahmen. Kürzlich versprachen 181 Topmanager der US-Multis demütig, dass sie künftig nicht nur ihre Aktionäre bedienen werden, sondern auch dem Land dienen wollen – Amerika first.
- Du hast recht, Jupp. Die Politik sitzt immer noch am längeren Hebel. Aber dadurch kann sie auch viel Unheil anrichten. Schau dir nur die gegenwärtige Situation in der Medizinproduktewelt an. In etwa neun Monaten läuft eine Übergangsfrist ab. Dann tritt die EU-Verordnung für Medizinprodukte in Kraft – und keiner weiß genau, wie sie in die Praxis umgesetzt werden soll. Die Datenbank EUDAMED ist noch nicht fertiggestellt, von den Benannten Stellen für die Konformitätsbewertungen sind erst vier zugelassen: BSI, TÜV Süd, DEKRA und die italienische IMQ. Die Regeln für die Klassifizierung der Risikoklassen wurden verschärft, so zum Beispiel bei der Software. Enthält sie interpretative Komponenten, fällt sie in eine höhere Risikoklasse und benötigt eine Zertifizierung durch eine Benannte Stelle. Die sind aber darauf noch gar nicht vorbereitet, es fehlen ihnen die Fachleute.
Ist mir klar, Ingo. Man hängt eine Künstliche Intelligenz dran, welche die Ergebnisse interpretiert und der Algorithmus dazu ist das Betriebsgeheimnis des Herstellers. Da hilft doch nur die Schaffung einer noch höheren TÜV-KI, die nun die Anwender-KIs begutachten und zertifizieren soll.
- Gute Idee Jupp. Die Deutschen hinken mal wieder hinterher. So soll wohl nur eine „eingefrorene KI“ zertifiziert werden – die darf nach der Freigabe nicht mehr dazulernen. Die amerikanische FDA hat nun ein Konzept vorgestellt, bei der auch kontinuierlich lernende KI-Medizinprodukte geprüft werden sollen. Sie müssen dann der „Good Machine Learning Practice“ folgen.
Wir brauchen dringend eine „Good Legislation Practice“. Generell befinden sich die europäischen Hersteller am Rande der Verzweiflung, obwohl die EU-Kommission eine Fristverlängerung für niedrigklassifizierte Medizinprodukte angekündigt hat. Sie rechnen für die Umsetzung der beiden EU-Verordnungen MDR und IVDR mit Kosten von 18 Milliarden Euro im Jahr 2020. Baden-Württemberg hat gerade ein Hilfsprogramm mit kümmerlichen 2 Millionen Euro für seine 840 MT-Firmen aufgelegt. Marktbeobachter erwarten eine Senkung der Produktvielfalt und ein Sterben vieler kleiner Unternehmen. Innovationen werden es schwerer haben, zugelassen zu werden. Ich bin nur gespannt auf das neue MP-Anpassungsgesetz-EU von Jens Spahn.
- Wenn man berücksichtigt, dass diese komplizierte Regulierung durch einen kriminellen Hersteller für Brustimplantate in Frankreich und hektisch darauf reagierenden Politikern ausgelöst wurde, dann finde ich in dem Vorgang auch ein paar populistische Elemente. Wie so oft wird bei einem Behördenversagen auch mal das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, um die wütende Bevölkerung zu beruhigen. Populistische Reaktionen auf komplexe Vorgänge gehen meistens schief. Denn es gilt der Merksatz: Komplexe Probleme haben oft eine Lösung, die verständlich, einfach und unkompliziert ist. Leider ist sie meistens falsch!
Ja, Ingo. Da ist es nur gut, dass unsere flüssige Verpflegung hier keinen komplexen Vorgang erfordert. Herr Wirt, bringen Sie uns bitte wieder zwei Bier.
- Gute Idee, Jupp. Also Prost auf unsere Populisten an der Macht. Auf das sie irgendwann mal erleuchtet werden. Vielleicht kann eine zertifizierte KI behilflich sein.
Die Franzosen finden ein Wortspiel witzig:
„la tique“ heißt die Zecke. Die Vorsilbe „poly“ steht für viele.
La Politique bedeutet also: „viele Zecken“.
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